Wer angibt, hat’s nötig – endlich mal ein Autothema

Die schönsten Beispiele von Prahlerei waren bisher immer Automobile. Und nicht selten wurden mehrere Jahresgehälter versenkt, um “ranghöher” dazustehen. Das 911er Cabrio von Klaus in der Einfahrt, lässig vor der Garage geparkt, aus Versehen noch die Hermès-Tasche auf der Beifahrerin-Seite liegen gelassen. Das Wetter verspricht Regen, das Verdeck bleibt auf. So geht PS-Protz. Für Petrolheads wie mich hat das aber auch immer eine angenehme Seite, denn dadurch sehe ich manch schönes Fahrzeug, welches ich sonst wahrscheinlich nie gesehen hätte.

Was lernen wir daraus? Angeben macht das Leben bunt, man muss es nur zu genießen wissen.

Die Kunst des Angebens

Beginnen wir mit den schönen Seiten des Angebens. Beim Autoprotz sind diese hinreichend bekannt. Ganze Industriezweige und Eventgewerbe leben davon. Ob die Concorso d'eleganza Villa d'este oder die Pebble Beach Concours d’Elegance – Schönheitswettbewerbe von Automobilen geben Angebern die Bühne, anzugeben und Bewunderern die Möglichkeit, zu bewundern.

Was lernen wir daraus? Angeben ist wie eine Mistel. Halbschmarotzer brauchen den Anderen, aber der sie irgendwie auch.

Doch natürlich gibt es Unterschiede in der Ausprägung der Angabe. Und man muss aufpassen, ob alles Angeber sind, die solche Events mitmachen. Da ist hier das ältere Ehepaar, beide Autoenthusiasten, die sich gemeinsam den Traum eines wertvollen Oldtimers (eine hundertjährige Tin Lizzie) erfüllten und nun bei den verschiedenen Veranstaltungen stilgerecht teilnehmen. Und da ist dort der junge Mann, der sich (Geld war plötzlich da) ohne Ahnung und wirklicher Leidenschaft einfach einen 300 SL Gullwing kaufte und mit einer Schar Mechaniker im Schlepptau die Rallye Mille Miglia gewann. Im Zieleinlauf bekam er das, wofür er Millionen ausgegeben hatte. Alle Leute jubelten ihm zu. Das Ehepaar belegte den 22. Platz, aber freute sich über die wunderschöne Fahrt in Norditalien.

Was lernen wir daraus? Oldtimer fahren macht total Spaß, Angeben hingegen ist total anstrengend.

Angeben braucht den Vergleich

Vermeintlich zeigt das Angeben die eigenen Vorzüge, seien sie materiell (Porsche 911) oder intellektuell (den Titel Prof. Dr. etc. prominent auf jeder Visitenkarte). Das heißt, durch die Zurschaustellung seiner profunden Kenntnisse, Fähigkeiten oder auch pekuniären Unabhängigkeiten zeigt man erst einmal das Gebiet an, auf dem man sich sicher und zu Hause fühlt – denkt man. Doch in erster Linie geht es bei der Präsentation immer auch um den Vergleich. Ich bin reicher als Horst-Alwin von Schlottermatz zu Schaurig Brille, schlauer als Gutrune Kniepenfritz-Höselblast oder geschickter als Hoje Töwerkamp-Sahnefurth. Und der Vergleich hat direkt etwas mit Dominanz zu tun: “Ich zeige meinen 911er vor der Garage, weil du einen mickrigen Fiat 500 fährst (was naturgemäß dazu führt, dass alle den Cinquecento süß und den 911 protzig finden).

Was lernen wir daraus? Seine Vorzüge zu zeigen kann auch nach hinten losgehen.

Doch noch ein Zweites spielt dabei eine wichtige Rolle. Denn es geht im Kern nicht darum, dass man derjenige ist, dem es besser geht, der das schönere Auto hat, schlauer ist etc., sondern dass der andere es NICHT geschafft hat, dümmer ist, das hässlichere Auto hat etc. Es geht also darum, Minderwertigkeit bei anderen zu erzeugen. Und was ist das, beispielsweise in der Schule? Mobbing. Es ist die gleiche aggressive Befriedigung, die man spürt, wenn man mit wüsten Beschimpfungen einen anderen zutextet, damit der sich beleidigt und verwundet zeigt. Das Angeben hat also auch etwas mit Schmerz zu tun. Der Andere soll sich unterlegen, zweitklassig und minderwertig fühlen, woraus sich die wundervollen Blüten Neid & Missgunst bilden.

Was lernen wir daraus? Angeben ist nicht nur Vergleich, sondern seelische Körperverletzung.

Vergleich braucht Verlierer

Parkt der 911er in der Einfahrt vor der Garage, lädt er gerade dazu ein, bewundert zu werden. Es läge keine Befriedigung darin, dass der Aston-Martin-DBS-Fahrer vorbeikommt und ein Fachgespräch über die Vor- und Nachteile von Motorkonzepten (hier V12, dort B6) zu führen. Das ist schön und spannend, aber für die seelische Befriedigung völlig irrelevant. Der Angeber braucht Menschen, die weniger besitzen oder weniger erreichten und sich dieser Tatsache als Mangel bewusst sind. “Komm, Martin, morgen fahren wir mal ‘ne Runde im Porsche, da wirst du staunen, der Hammer…” Martin fährt mit, Martin staunt, alles gut. Um anzugeben, braucht man eben den Vergleich. Und dieser Vergleich muss einen offensichtlichen Gewinner und noch offensichtlicher einen Verlierer küren. Klaus braucht “erfolglose”, “arme” und “kleine” Menschen. Er mag Martin wirklich, aber eben nur, weil er deutlich weniger hat, kann, weiß als Klaus. Gleichrangigkeit erzeugt Angst. Angenommen zwei Monate später bekäme Martin eine wertvolle Auszeichnung für eine geleistete Forschungsarbeit. Wer wird sich da wohl am wenigsten freuen? Sein Freund, der 911er-Klaus. Angeben und Neid kann sich eben sehr schnell wenden.

Was lernen wir daraus? Bewunderst du einen Angeber, darfst du kostenlos Porsche mitfahren.

Doch wovor hat Klaus Angst? Das Problem liegt darin, dass sein Selbstwert nicht sehr stabil ist (siehe auch meinen Blogbeitrag zu diesem Thema), denn als Selbstwert bezeichnet man das Gefühl über seinen eigenen Wert. Daher poliert er es mit Fremdwertelementen des Bestaunens, des Neides, des Erhöhens etc. auf. Er bedarf also der “Minderwertigkeit” des Anderen, um sich selbst zu erhöhen. Da er für sich selbst nichts oder zu wenig ist, kann er nur durch den Vergleich etwas sein, und das ist existenziell, also aggressiv.

Was lernen wir daraus? Angeber sind von unserer Bewunderung abhängig. Wir haben sie in der Hand.

Fazit

Der Angeber uniformiert sich nicht nur als Nachbar mit 911er, Busfahrersonnenbrille und über die Schultern gelegtem Boss-Pullover. Nein, der Angeber ist in uns, mehr oder weniger stark, mehr oder weniger aggressiv, mehr oder weniger bewusst. Anteile sind jedoch meistens vorhanden. Und dieser Anteile bedürfen wir auch, da wir im ständigen darwinschen existenziellen Konkurrenzkampf stehen. Vergleich ist wichtig für Erfolg und Befriedigung. Dass dabei immer ein “Erster” und ein “Zweiter” entsteht, ist systemimmanent. Problematisch wird es hingegen dann, wenn wir merken, dass wir nur wegen des Lobes oder der Wertschätzung anderer etwas gemacht, gekauft oder gesagt haben. Daher darf man sich sehr wohl einen Porsche 911 Turbo kaufen, ohne ein Angeber zu sein, wenn man ihn aus Spaß am Auto, an der Technik und an der gesamten Autohistorie kauft. Aber derjenige stellt ihn in die Garage und nicht davor, schon gar nicht bei drohendem Regen.

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