Wahrnehmung – was ist daran wahr?

Allein das Wort verspricht ja viel. WAHRNEHMUNG – das muss doch etwas mit Wahrheit zu tun haben. Aber gibt es DIE Wahrheit eigentlich? Immer wieder erlebt man, wie Menschen vermeintlich Eindeutiges unterschiedlich wahrnehmen und darauf unter Umständen auch sehr eigen reagieren. Nehmen wir beispielsweise die Ziffer “6”. Je nachdem, von welcher Seite aus sie betrachtet wird, ist es eben eine SECHS oder eine NEUN. Welche Zahl ist aber die richtige?

In Gesprächen zeigt sich manchmal auch eine doppelte Wahrnehmung, beispielsweise beim Thema Politik. Oft werden da eigene Thesen und eine allgemeine Kritik an Bestehendem gleichermaßen vertreten. “Also diese Maßnahme ist totaler Schwachsinn, wenn ich was zu sagen hätte, dann würde ich das so und so machen.”

Gleich zwei interessante Aspekte sind hier zu betrachten:

  1. Die dynamische Wahrnehmung, also das grundlegende Element, Tätigkeiten anderer wahrzunehmen und
  2. die grundlegende Wahrnehmung, also sich in Bezug dazu zu stellen (sein Selbstbewusstsein).

Anders ausgedrückt: Wir nehmen nur das wahr, was wir brauchen und erwarten nur das, was wir kennen und bisher erfahren haben. Bildung, Erfahrung und Bedürfnisse beeinflussen unsere Wahrnehmung.

Ein sehr plattes, aber vielleicht bildliches Beispiel:

  • Hat man Hunger und riecht man, wie jemand grillt, lechzt man danach und hält den Geruch für besonders reizvoll.
  • Kommt man aber gerade von einer Grillparty, bei der man am Rost stand und zudem viel aß, kann es sein, dass sich bei demselben Geruch einem “der Magen umdreht”.

Und wer hat nun Recht? Wer sagt die Wahrheit? Wer nimmt nun “wahr”? Beide. Denn Wahrnehmung ist immer selektiv und subjektiv.

Wie aber kommen wir dazu, so verschieden wahrzunehmen und uns dadurch oft in die Haare zu kriegen? Verschiedene Lernformen sorgen dafür, unsere subjektive Wahrnehmung zu schulen und zu prägen:

  1. das Modelllernen, also das Vorbild und positive Beispiel (kann natürlich auch negativ sein)
  2. das Signallernen, also die klassische Konditionierung, Pawlow: 'Immer wenn es klingelt, kriege ich Essen. Also läuft mir auch das Wasser im Mund zusammen, wenn es nur klingelt' etc.)
  3. die instrumentelle Konditionierung, also das Lernen durch Verstärker wie Lob oder Strafe.

Alle diese drei Systeme prägen unsere Wahrnehmung. Nun zu unserem sehr platten Beispiel. Man hat Hunger und Appetit und riecht den Grilldunst:

  1. Modelllernen: Früher grillte Papa immer, das waren meistens besondere Tage, also positiv verankert – Grillen ist toll.
  2. Das Signallernen geschieht durch die Kombination von Geruch und Geschmack, aber auch von Geruch und Gefühl, denn dieses tolle Fest wurde immer vom Odeur des brutzelnden Fleisches begleitet.
  3. Instrumentell war es das Lob der Gäste, wenn man gegrillt hatte. Meistens wurde sich bedankt, “ah” und “oh” gesagt, es schmeckte, es machte Spaß, man hatte ein gutes Gefühl und wurde gebraucht. – ein Verstärkersystem.

Und nun zum Gegenteil. Man hat den ganzen Abend gegrillt und ist total satt und riecht den Grilldunst:

  1. Weil es so gut schmeckte, hatte man sich meistens überfressen, oft in der Kombination mit Alkohol wurde einem manchmal sogar schlecht.
  2. Geruch begleitete den Abend, auch, wenn man bereits mehr als satt war, er erinnerte ans Essen, was einem über war, also Ablehnung.
  3. Die Strafe für eine ausgelassene Party waren Magenkrämpfe, Völlegefühle, Erbrechen, Kopfschmerzen und Katerstimmung.

Das alles natürlich sehr hinkonstruiert, könnte aber eine Rolle bei der unterschiedlichen Bewertung ein- und desselben Geruches sein. Doch was beeinflusst noch unsere Wahrnehmung?

Wir wachsen alle in verschiedenen sozialen Strukturen auf, die uns entscheidend prägen. Diese wiederum sorgen auch für unsere Einstellungen, man nennt sie auch exogene Faktoren. Diese Einstellungen beziehen sich auf drei unterschiedliche Bereiche:

  1. auf sich selbst
  2. auf andere Menschen und
  3. auf Sachen oder Dinge.

Neben diesen Einstellungen und Sozialisationserfahrungen prägen aber auch unsere Interessen, unsere Intelligenz unser Talent und unsere Gefühle unsere Wahrnehmung. Und natürlich beeinflussen unsere Triebe ganz erheblich unsere Einstellungen. Beispiele hierfür fallen einem sicherlich sofort ein...

Summa summarum muss man konstatieren: Wahrnehmung ist individuell, situationsabhängig und schlecht objektiv vergleichbar. Man kann aber nicht nicht wahrnehmen. Daher ist es immer gut, Wahrnehmungen zu hinterfragen und sich und anderen erklären, was man wie und vielleicht auch warum wahrgenommen hat. Daher ist es nicht ratsam, andere Wahrnehmungen zu werten oder abzuurteilen. Erst dann können neue Erfahrungen gemacht werden, die wiederum neue Wahrnehmungen mögliche machen.

Denn wie heißt es so schön bei Sokrates: “Der Kluge lernt aus allem und von jedem, der Normale aus seinen Erfahrungen und der Dumme weiß alles besser.”

 

Bitte beachten Sie auch meine Schwerpunktseite: www.musikerberatung-frieling.de.

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