Von Zwergen und Neidern

Der Montag beginnt regnerisch und kalt. Sie stehen an der Ampel, es ist noch nicht einmal 6:00 Uhr. Sie gähnen und frösteln. Der Nieselregen scheint von überall her zu kommen. Und sie denken an ihren Partner, der noch im schönen, warmen Bett liegt. Was spüren Sie da? Dankbarkeit, weil Sie früher aufstehen durften? Wohl kaum. Neid trifft es da schon eher. Und wenn wir ehrlich sind, kennen wir das Gefühl gut. Und viele von uns bekommen ein schlechtes Gewissen, wenn wir uns dabei ertappen, neidisch zu sein. Doch warum ist das eigentlich so?

Wir vergleichen uns – immer!

Der Neid gilt seit Jahrhunderten als böse, schlecht und moralisch verwerflich. Im 6./7. Jahrhundert wurde er durch die Katholische Kirche (Papst Gregor I.) in den Kanon der Todsünden neben Hochmut, Habgier, Zorn, Wollust, Völlerei und Trägheit aufgenommen. Theologisch war es der Satan, der uns mittels dieser Todsünden dazu verführt, die Gemeinschaft mit Gott zu verlassen. Neid erwies sich als gefährlich. Denn er weckt starke Emotionen und stärkt das ES in uns. Aber da Neid zu den Urgefühlen des Menschen gehört, sichert er uns auch das Überleben. Und dazu gehört die beständige Entwicklung im Abgleich mit unseren Mitmenschen. Neid ist ein emotionales Ergebnis eines Vergleichs.

Der, die oder das Andere besitzt oder ist etwas, was ich meine zu vermissen, oder was ihn, sie oder es höher als mich stehen lässt. Kurz: Der hat was, was ich nicht habe. Mist!

Man fühlt sich durch den Vergleich benachteiligt, Neid ist also das Bewusstsein von Mangel bei sich. Die jahrhundertelange moralische Verurteilung hat dazu geführt, dass viele Menschen zusätzlich zum Empfinden von Neid auch noch Scham empfinden. Sie sind also neidisch und schämen sich gleichzeitig darüber.

Wir beneiden einander – verschieden!

Doch was bei materiellen Dingen relativ einfach zu bemerken ist, wird bei ideellen oder gar seelischen Dingen schwieriger.

  1. Materieller Neid richtet sich gegen das größere Auto des Nachbarn, das höhere Gehalt des Arbeitskollegen oder die größere oder besser gelegene Wohnung.
  2. Ideeller Neid richtet sich gegen das bessere Aussehen, die feineren Manieren oder einfach nur das jüngere Alter.
  3. Psychischer Neid richtet sich gegen die Seele, also das vermeintliche Glück, die innere Zufriedenheit oder das größere Selbstbewusstsein.

Und hier merkt man schon die Vielfältigkeit der Vergleichsebenen. Oft geht Neid einher mit dem Gefühl, für einen Anspruch berechtigt zu sein. Löst sich Anspruch und Haben nicht, kommen auch gerne zerstörerische Gefühle auf.

Aber grau ist alle Theorie, daher dieses Beispiel:

Herr Zipfelhorst sammelt Gartenzwerge. Er ist Rentner und eifriger Laubenpieper. Sein Nachbar macht sich oft darüber lustig. Eines Tages ruft er Herrn Zipfelhorst über den Zaun zu, er hätte etwas ganz Tolles geschenkt bekommen, aber er wisse nicht, was er damit machen solle. Also kommt Herr Zipfelhorst rüber und erfährt, dass es sich um einen echten Meissner Gartenzwerg handelt. Dieser Banause, dieser Nichtskönner, Sandhocker und Piesepampel bekommt so ein wertvolles Stück geschenkt. Herr Zipfelhorst ist neidisch. Aber als hilfsbereiter Mensch sagt er dem Nachbarn, worum es sich handelt und rät ihm, den Zwerg lieber in einer Vitrine als im Beet auszustellen.

Doch verlassen wir die Gartensparte und gehen mal auf die drei Gefühle Herrn Zipfelhorsts ein:

  1. Vergleich und Neid: Der Nachbar bekommt einen wertvollen Zwerg, er nicht. Das erzeugt ein Gefühl von Vermissen oder Verlust dieses Zwerges, den der andere hat, das Habenwollen wird präsenter als vorher.
  2. Benachteiligung und Missgunst: Das Glück des Nachbarn ist "ungerecht". Es ist eher das "Unglück" von einem selbst. Weder Kompetenz noch Interesse rechtfertigen eine solche Schenkung. Man selbst wäre der würdigere Beschenkte gewesen.
  3. Ärger und Scham: Herr Zipfelhorst ärgert sich über sich, er schämt sich seiner negativen Gefühle und seines Neides, seiner Missgunst und seiner schlechten Gedanken bezüglich seines Nachbarn.

Doch was kann die Konsequenz sein? Betrachten wir 3 Szenarien (unendlich viele andere sind selbstverständlich denkbar) mit objektbezogen positivem Ausgang:

Variante 1: Herr Zipfelhorst denkt nur noch an diesen Zwerg. Der kleine rote Mann erscheint ihm im Traum und winkt ihm zu. Eines Tages schleicht er rüber und klaut ihn dem Nachbarn. Seitdem ruht er versteckt im Keller. Der Nachbar ahnt etwas, kann aber nichts beweisen.

Variante 2: Herr Zipfelhorst bittet den Nachbarn darum, ihn abkaufen zu können und erhält ihn offiziell.

Variante 3: Herr Zipfelhorst kann seinen Nachbarn anhand dieses einen Zwerges die Welt und das Universum der Gartenzwerge schmackhaft machen und findet in seinem Nachbarn einen würdigen Mitsammler. Zum Dank dafür schenkt ihm der Nachbar diesen Gartenzwerg.

Wir sehen also, wie unterschiedlich man mit Neid umgehen kann. Bei allen drei Varianten endet es damit, dass der Gartenzwerg Herrn Zipfelhorst gehört.

Bei Variante 1 (Diebstahl) wird dieser Besitzwechsel mit andauerndem Misstrauen und einem gestörten Nachbarschaftsverhältnis eingekauft. Bei Variante 2 (Kauf) entsteht durch die Ehrlichkeit ein besseres Verhältnis und bei Variante 3 (Schenkung) sogar Freundschaft.

Neid ist uns bewusst – selten!

Unser Beispiel geht von einer sehr einfachen Sachlage aus. Da gibt es ein materielles Objekt, den Gartenzwerg, der von dem einen begehrt (Herrn Zipfelhorst) und von dem anderen (Nachbarn) besessen wird. Beiden ist der Wert des Objektes bewusst, und beiden ist auch der Neid bewusst, der entstanden ist. Und genau hier liegt schon die Besonderheit. Denn oft meinen wir, gar keinen Neid zu verspüren. Weder Missgunst noch das Habenwollen werden uns bewusst. Zu sehr greift das Tribunal des Über-Ichs ein und relativiert diese Urgefühle zu: "Brauche ich nicht." (statt des Neidischen: “Das hätte ich gern.”) oder "Wer weiß, wofür das gut ist." (statt des Missgünstigen: “Dem gönne ich das nicht.”) oder "Besitz verpflichtet, Nichtbesitzen befreit." (statt des Habenwollenden: “Ich brauche das unbedingt.”). Und das glaubt man auch wirklich. Man meint es nicht verlogen oder diplomatisch, nein, man glaubt oft daran, keine niederen Gefühle dieser Art zu empfinden.

Neid wird abgewehrt – meistens!

Aufgrund der Kombination mit Scham und Schuldgefühlen ist uns Neid oft unbewusst. Der Transfer ins Unbewusste geschieht durch Abwehrmechanismen. Typisch ist beispielsweise die Verleugnung. Das beneidenswerte Objekt wird "entwertet", also in seinem Wert für einen selbst verleugnet. In unserem Beispiel würde Herr Zipfelhorst das als wertvollen Meissner Zwerg beneidete Objekt in ein nur mitleidig belächeltes, billiges Imitat fernöstlicher Massenware abwerten. Dadurch gibt es nichts mehr zu beneiden, fertig. Aber auch die Projektion ist ein häufiger Abwehrmechanismus. Der Neid wird dann auf andere Menschen übertragen, besser gesagt, bei anderen Menschen behauptet, und es entsteht das Gefühl, dass man selbst gar nicht neidisch ist, sondern nur die anderen. In unserem Beispiel würde Herr Zipfelhorst Freund und Beschützer seines Nachbarn werden, um ihn vor den bösen und gierigen Sammlern dieser Welt zu beschützen. Bei einem möglichen Verkauf würde er überall nur Gauner, Betrüger und Räuber vermuten, die seinen armen Nachbarn über den Tisch ziehen wollen. (Wir meinen hier nicht die Strategie, die dazu führen könnte, den Zwerg selbst zu bekommen.)

Neid braucht Augenhöhe – immer!

Was damit gemeint ist, kann man an unserem Beispiel sehen. Der Nachbar bekommt einen wertvollen Gartenzwerg geschenkt. Trotz seiner Inkompetenz bezüglich von Gartenzwergen ist er auf Augenhöhe mit Herrn Zipfelhorst. Er fährt einen Golf Plus in silber (Herr Zipfelhorst eine B-Klasse gleicher Farbe) und trägt beigefarbene Kleidung. Beide arbeiteten bei der Reichsbahn und haben eine ähnlich große Parzelle. Der Neid richtet sich also nicht nur gegen die “Ungerechtigkeit”, dass der Ahnungslose das Wertvolle und der Ahnungsvolle nichts bekommt, sondern auch gegen die ungleiche Behandlung gleichartiger Partner. Die Wahrnehmung ist also die: "Das könnte mir genauso passieren.” Sprich: Wenn ein berühmter Gartenzwergsammler eine solche Preziose geschenkt bekäme, wäre ja die Relevanz für Herrn Zipfelhorst gleich (er würde den kleinen Mann auch haben wollen), aber die Ungleichheit zwischen dem berühmten Sammler und dem piefigen Laubenpieper ungleich größer. Demzufolge wäre der Neid von Herrn Zipfelhorst nicht so groß. Übrigens ist diese Erkenntnis vermeintlich ein Produkt intensiver sozialpsychologischer Studien des 20. Jahrhunderts, doch erstaunlicherweise findet man bei Hesiod in seinem Werk “Werke und Tage” schon um 700 v. Chr. ein interessantes Zitat: “Und schaut einer, der des Besitztums ermangelt, auf den anderen, der reich ist, so eilt er sich, in gleicher Weise zu säen und zu pflanzen und das Haus wohl zu bestellen; der Nachbar wetteifert mit dem Nachbarn, der zum Wohlstande hinstrebt. [...] Auch der Töpfer grollt dem Töpfer und der Zimmermann dem Zimmermann, es neidet der Bettler den Bettler und der Sänger den Sänger.”

Und wir sehen in diesem Zitat (übrigens zitiert nach Friedrich Nietzsches: “Homers Wettkampf”) noch ein zweites und zwar ein deutlich positives Merkmal von Neid, die Motivation. Neid wird hier zum Wettbewerb, Missgunst zu Ansporn und Habenwollen zum Zutrauen.

Fazit

Neid ist keine Todsünde, sage ich jetzt mal so. Sondern Neid ist der natürliche Vergleich mit anderen Menschen. Allerdings ist das, was wir daraus machen, entscheidend. Zerfrisst uns der Neid, führt er zu Hass, Wut und Brutalität, ist er zerstörerisch und böse. Aber verwandeln wir diese Energie in Motivation und Ansporn, Zutrauen und Eigeninitiative, dann wird der Vergleich zur Ressource und nicht zur Waffe. Wie Herr Zipfelhorst mit seinem Neid umgeht, ist auch Ergebnis seiner Erfahrung mit sich und seiner Umwelt. Kann er Variante 3 umsetzen, oder bleibt er bei Variante 1? Jeder von uns hat stets die Wahl, sich seinen Neid bewusst zu machen und ihn als Ressource zu nutzen. Möge es uns gelingen!



Bitte beachtet auch meine Schwerpunktseite: www.musikerberatung-frieling.de.

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