Von Affen und Hunden – Der Urlaubsanspruch
Alle Jahre wieder kommt die Sommerzeit, die gemeinhin auch als Urlaubszeit gilt. Die Straßen und Städte leeren sich, die Temperaturen steigen, und bis zum Sinken überladene Autos stauen sich auf den Straßen. Und fast alle haben nur eines im Sinn, sich zu erholen. Oft wurde ein Jahr lang darauf gespart und gewartet, um nun endlich in die Ferien zu fahren. Heute soll es aber nur um ein kleines Phänomen in diesem großen Komplex Erholung-Urlaub-Energie gehen, nämlich um die beiden Gegenspieler, Gewohnheit (hier der Leonberger Habitus) und Neuheit (hier der Schimpanse Novus).
Der Schimpanse Novus
Warum fährt man eigentlich so gerne weg, oder andersherum gefragt, warum scheint der Inbegriff des Urlaubs der Tapetenwechsel zu sein? Denn es ist schon erstaunlich, welche Strapazen man für das Reisen auf sich nimmt. Angesichts der überfüllten Straßen und langen Wartezeiten scheint es nämlich fraglich, ob Erholung wirklich das erklärte Ziel ist. Aber vielleicht ist die Anreise nur das kontrastreiche Vorspiel einer folgenden Idylle? Wichtig ist, dass die Veränderung an sich reizvoll ist. Ob es das Zelt, das Ferienhaus oder das Luxushotel ist – keine Unterkunft gleicht dem eigenen Heim. Und genauso verhält es sich mit dem Dorf, der Stadt oder dem Land. Nirgendwo ist es so wie zu Hause. Und das stimuliert unsere Neuronen, weil in vielen von uns die Neugierde, das Interesse an etwas Neuem, Anderen und Ungewohnten schlummert.
Veränderung scheint also sympathisch abgespeichert zu sein. Aber war es nicht genau andersherum? War es nicht die Veränderung, die dem Menschen immer schwerfällt, bis dahin, dass er es überall genauso haben möchte wie zu Hause?
Genau hier streitet sich unser Schimpanse Novus mit dem Leonberger Habitus, der lieber am Kamin liegt und döst. Unser “Gewohnheitstier” in uns beißt sich mit dem “gelangweilten Gehirn”. Routine und Alltag erzeugen im Gehirn Langeweile. Was erst einmal seltsam klingt, wird vielleicht beim näheren Hinsehen klarer. Die oft als Stress wahrgenommenen Aufgaben des Alltags bestehen aus viel Routine und gleichen Ritualen. Beispiel: Der obligatorische Familieneinkauf wird als belastend wahrgenommen, weil man schon zuvor jeden Schritt kennt, die Menschenmassen fürchtet, und die Zeit überschlägt, wie lange es dauern wird. Macht man den gleichen Einkauf im Urlaub in einer fremden Stadt, so ist die Neugierde und das Interesse an der dortigen Situation viel größer und lässt weniger die Erschöpfung durch die Vorhersehbarkeit zu. Das Gehirn wird sozusagen mit neuen Eindrücken “gefüttert”. Diese sind zwar auch anstrengend und kosten mindestens ebensoviel Energie wie die alltägliche Routine zu Hause. Aber es ist “spannend”, “interessant” und “neu” und nicht “immer das Gleiche”, “öde” und “nervend”. Die Konnotation ist eine andere. Während man im Urlaub die Belastung als positiven Stress (Eustress) empfindet, kann der Alltag eher negativen Stress (Distress) erzeugen. Und genau diese sogenannte Langeweile kann zu einem von außen als Minderbelastung erlebbaren Effekt führen. Im Urlaub wandert man 20 Kilometer, geht danach mit den Kindern einkaufen und macht noch einen schönen Grillabend. Diese rein körperliche Anstrengung wäre im Alltag undenkbar. Es scheint also so zu sein, dass neue Eindrücke eher Energie liefern als sie zu nehmen und sich allein schon eine Ortsveränderung positiv auf das eigene emotionale Befinden auswirken kann.
Der Leonberger Habitus
So, nun vergessen wir aber wieder einmal alles Gesagte, es ist nämlich ganz anders, oder? Dass Menschen sogenannte “Gewohnheitstiere” sind (einige mehr, andere weniger), ist nicht nur eine sachliche, sondern eine höchst individuell beständig erlebbare Sache. An Dingen, die man gewohnt ist, möchte man nichts ändern. Ein großer Anteil am Trennungsschmerz sind oft Anpassungsschwierigkeiten an neuen Situationen und Menschen. In Alltagsdingen kann Routine eine hohe Effizienz erzeugen. Visuelle, akustische, gustatorische oder auch olfaktorische Kontrollen können zumeist entfallen. Jeder kann das bestätigen, wenn man das gleiche Essen in einer neuen Küche zubereitet und man sich erst einmal zurechtfinden muss. Gewöhnung an Menschen hat eine ähnliche Komponente. Das Gegenüber kennt einen und eine gewisse Vorhersehbarkeit der eigenen Reaktionen. Das erzeugt Vertrautheit und Sicherheit, weil es einem mit dem anderen genauso geht. Gerade das Thema Sicherheit hat eine hohe subjektive Komponente. Ich habe selbst erlebt, wie Menschen, die in städtischen Brennpunkten mit einer erhöhten statistischen Kriminalitätsrate leben, ganz selbstverständlich ihren Alltag verbringen, aber als Touristen in ähnlichen Gegenden anderer Städte plötzlich Sicherheitsbedenken äußern und Maßnahmen ergreifen, die einen nur staunen lassen. Man kann also zusammenfassen, dass Routine und Gewohnheit Sicherheit und Effizienz geben kann, während das Neue oft Unsicherheit und Ineffizienz bedeutet.
Nun nochmal zu unserem Beispiel des Alltag, der Stress erzeugen kann. In gleichem Maße, wie Routine durch die Voraussehbarkeit und Langeweile des Gehirns Stress erzeugen kann, ist die Routine aber auch eine Tätigkeitswelle, auf der man surfen kann. Man macht alles wie im Schlaf, jeder Handgriff sitzt, alles ist optimiert und effizient. Das erspart Zeit und ermöglicht eine hohe Leistungsfähigkeit.
Fazit
Man sieht also, des einen Fluch ist des anderen Segen. Ohne Routine geht es genauso wenig, wie ohne den Reiz von Neuem. Sowohl der große gemütliche Leonberger Habitus am Kamin gehört zu uns wie das quicklebendige Äffchen Novus. Beide haben ihre Bedürfnisse, und beide sollten zu ihrem Recht kommen. Daher empfiehlt es sich, im Urlaub darauf zu achten, dass Erholung und Entspannung nicht nur mit Nichtstun, Ausschlafen und Am-Strand-rumliegen assoziiert wird, sondern auch mit einem Städtetrip, einer Wanderung, mit Kunst und Theater, also allem, was Anregung und Reiz bedeutet. Im Urlaub wäre es demnach ratsam, einen großen Wert auf sich und seine Bedürfnisse zu legen, die sowohl geistige als auch emotionale Impulse einschließen, aber auch Phasen der Kontemplation kennen und brauchen. Wer es ernst meint mit der Erholung, sollte mit sich achtsam umgehen. Dann klappt das auch.
Bitte beachtet auch meine Schwerpunktseite: www.musikerberatung-frieling.de.