Toxische Beziehungen

Vermehrt hört man von frisch getrennten Freunden, dass sie endlich ihre “toxische Beziehung” beendet hätten. Doch der aus der Psychologie entnommene Begriff meint weniger eine allgemeine Begründung einer gescheiterten Liebesbeziehung, wo es u. a. um verschiedene Ansichten und zermürbende Diskussionen geht. Nein, vielmehr geht es um komplette Abhängigkeit, Handlungsunfähigkeit und eine extreme Schwankung zwischen Glück und Katastrophe. Es geht um eine sehr enge Bindung, die aber eine sehr schlechte Beziehung ist.

Toxische Beziehungen, was ist das eigentlich?

Es gibt keine allgemeingültige Definition. Aber wie alles im Leben macht die Dosis das Gift. Eine toxische Beziehung kann dann entstehen, wenn innerhalb einer Beziehung dem einen alle Energie geraubt wird, was ihn komplett handlungsunfähig werden lässt. Damit ist er dem anderen voll ausgeliefert und abhängig von ihm. Die Augenhöhe ist nicht mehr gegeben, und aus Liebe wird eine emotionale Leibeigenschaft, die der Befriedigung des egozentrischen Triebbedürfnisses dient. Eine der bekanntesten toxischen Beziehungsgeflechte sind die von Narzissten und Co-Narzissten.

Gerade Menschen, die unter histrionischen, emotional-instabilen, dissozialen oder narzisstischen Persönlichkeitsakzentuierungen oder gar -störungen leiden (Cluster B nach DSM-5), können in Beziehungen toxisch wirken. Sie zeichnen sich durch dramatisches, oft affektiertes, meist übermäßig emotionales oder unvorhersehbares Denken oder Verhalten aus. Auch können sie unberechenbar, kaltherzig und brutal wirken. Sie haben Schwierigkeiten, mit jemandem wirklich in Beziehung zu treten. Gemein ist ihnen ebenfalls die emotionale Dysbalance zwischen Wahrnehmung, Empfindung und Expression. Auch wenn sie manchmal sehr emotional und empathisch wirken, ist es doch häufig nur die Farce ihrer nicht erfühlten Kongruenz. Der Bereich von empathisch durchaus fähigen histrionischen Akzentuierungen bis hin zu antisozialen und brutalen Strukturen von Psychopathen (dissoziale Persönlichkeitsstörung) ist natürlich groß.

Neben dem oben genannten, typischen Formenkreis gibt es aber auch viele andere Gründe, die eine Beziehung toxisch werden lassen. Beispielsweise Erkrankungen wie Asperger oder Demenz, oder auch Unfälle mit posttraumatischen Belastungsstörungen. Auch verwandtschaftliche Beziehungen zwischen traumatisierten Eltern und deren Kindern sind problematisch.

Wo lauert das Gift in Beziehungen?

Anzeichen innerhalb der Beziehungen

Natürlich ist das nur eine beliebige Reihung typischer Warnsignale, die einzeln und zusammen auftreten können. Aber immer haben diese Anzeichen mit den schwierigen psychologischen Persönlichkeitsakzentuierungen der Partner zu tun.

  • Love Bombing – das meint das Zuschütten mit Liebe, also die Überrepräsentanz der Emotionen des Partners, ohne auf seine zu achten: “Schatz, ich liebe dich mit jeder Faser, pssst…, ich weiß, was du sagen willst, aber meine Gefühle sind so stark, dass ich platzen könnte…”
  • Fast Forwarding – die extreme Beschleunigung von Beziehungsphasen, die ein magisches Gefühl einer einmaligen Seelenverwandtschaft erzeugen sollen: “Schatz, ich weiß, wir kennen uns erst seit zwei Tagen, aber meinst du nicht auch, dass wir zusammen ziehen sollten? Ich meine, wir werden eh heiraten, oh, wie schön ich mir das alles vorstelle und ausmale. Du bist ein Teil von mir und ich von dir, wir wollen immer zusammen sein…”
  • Gaslighting – Unsicherheit und Grauzonen verbreiten, den Partner unsicher machen, ob er etwas so oder so gemacht, gesagt oder gewollt hat: “Schatz, ich weiß, du willst es doch auch, lass uns das Haus kaufen. [...] Also du liegst mir doch immer in den Ohren, dass wir uns ein Haus kaufen sollen, jetzt habe ich endlich ein Angebot, und dann maulst du rum, nie kann ich es dir recht machen…”
  • Futur Faking – Zukunftsversprechen ohne Einlösung, immer neue Ausflüchte für nichterfüllte Ankündigungen: “Also jetzt wirklich, nächste Woche trenne ich mich von meiner Frau, versprochen, aber eine Scheidung ist eben nicht so einfach, doch jetzt mache ich es, denn ich will nur noch mit dir zusammen sein…”
  • Firedooring – die Einseitigkeit von Zuwendungen (Feuertür, die sich nur einseitig öffnen lässt), besonders in Freundschaften ausgeprägt, wo immer nur der eine gibt, der andere aber nur nimmt. Alle extra für den Partner gemachten Kompromisse, Zugeständnisse und Aufmerksamkeiten werden als selbstverständlich erlebt, Hinweise darauf, sich auch mal über eine kleine Aufmerksamkeit zu freuen, empfindet der andere als Anmaßung: “Schatz, ich habe jetzt jede Woche schöne Blumen gekauft, kannst du mir nicht auch mal welche mitbringen?” “Achso, nur weil du immer die Blumen kaufst, zwingst du mich jetzt, diesen Blödsinn mitzumachen? Du willst doch die Blumen haben, dann kaufe sie dir auch…”
  • Mosting – eigentlich ein Phänomen, welches eher beziehungsängstliche Personen an den Tag legen, in dem sie zu Beginn sich emotional total öffnen und ähnlich wie beim Love Bombing ihre Liebe schnell erklären, sich aber bei Interaktionen durch den Partner (auch er öffnet sich emotional) plötzlich zurückziehen und nicht mehr melden. (ein Kofferwort aus dem most und Ghosting) Innerhalb einer toxischen Beziehung wird so immer wieder die Hoffnung auf Besserung und damit die Festigung der Bindung erreicht. Ein Beispiel erübrigt sich hier.

Anzeichen nach einem Beziehungsende

  • Flying Monkeys – die “fliegenden Affen” als willige Helfer. Sie dienen als “IM” für das Ausspionieren des Expartners. Ob digital per Social Media oder analog per “Zufallsbegegnungen”. Ständig wird der Expartner verfolgt. Doch es geht weiter. Mittels Mitleidsmasche und Halb- bis Nichtwahrheiten erschleichen sie sich den Zugang zur Familie und den Freunden, um alles über den Expartner zu erfahren. Und so kann es passieren, dass die Mama zur Tochter kommt und sagt: “Also dein Exfreund tut mir wirklich leid, er ist zu mir gekommen und hat mir alles erzählt, und ich verstehe ihn wirklich. So wie du dich verhältst, ist das auch nicht in Ordnung. Ich habe ihm erzählt, was du vorhast, und er will dir helfen, das finde ich sehr nobel von ihm…”
  • Hoovering – das sogenannte “Staubsaugen” meint die totale manipulative Vereinnahmung des Ex-Partners durch die schönsten Versprechungen, durch glorreiche Zukunftspläne, teure Geschenken und sich wiederholenden Liebesschwüren: “Ich weiß, ich habe dich oft angelogen, aber das ist jetzt vorbei, ich schwöre dir, ich bin anders geworden, guck mal. Ich war einfach noch nicht reif genug, aber jetzt weiß ich es besser…”

Wie beendet man toxische Beziehungen?

Grundsätzlich sollte man sich selbstkritisch hinterfragen, welche eigenen Anteile man an seiner schwierigen Beziehung hat. Erkennt man aber genügend Anzeichen, die zeigen, dass eine Augenhöhe nicht gegeben ist und eine Trennung unausweichlich für das eigene Wohl ist, könnte ein testender erster Schritt sein, innerhalb der Beziehungen die Prioritäten zu ändern.

  1. Standards setzen
    Ein sehr einfaches Beispiel ist die Pünktlichkeit. Bitte deinen Partner, ab jetzt immer genau zur verabredeten Uhrzeit zu kommen. Ob er es albern fände oder nicht, du wünscht es dir eben, weil es dir wichtig ist. Klappt es auch nach mehreren Versuchen nicht, kann das ein Anzeichen dafür sein, dass deine Wünsche nicht respektiert werden. Reflektiere nun auch andere Beispiele, wo gleiche Muster greifen und konfrontiere deinen Partner mit dieser Erkenntnis.
  2. Trennung ohne Hintertür
    Ist eine Umkehr in eine Beziehung unmöglich, sollte eine Trennung wirklich komplett vollzogen werden. Keine Anrufe, keine Nachrichten, keine gemeinsamen Freunde, keine Social-Media-Infos etc. Das Problematische an toxischen Beziehungen ist, ähnlich einer Substanzabhängigkeit, dass die Rückfallquote sehr hoch ist. Daher ist absolute Abstinenz ein wichtiger erster Schritt.
  3. Sich entschulden, nicht entschuldigen
    Ein typisches Thema nach Beendigung einer toxischen Beziehung ist das Thema Schuld. Er ist schuld, ich bin schuld... Die Opfer-Täter-Identifikation erschwert aber die Lösung von der sich darin sehenden Rolle. Sehe ich mich als Opfer einer Beziehung mit einem Narzissten, dann bleibe ich auch ein Opfer, sehe aber nicht die Anteile meines Mehrwerts durch diese Beziehung, bpsw. die Geborgenheit durch meinen “allwissenden” Partner, das Mitleid meiner Freunde (seelische Streicheleinheiten, Stolz auf eigene Tapferkeit), mein zu geringer Selbstwert, meine Entscheidungsschwäche, meine Eitelkeit, eine solche Beziehung aushalten zu können. Und so weiter. Es gibt viele “Vorteile”, ein “Opfer” einer toxischen Beziehung zu sein. Daher kann es wichtig sein, die vermeintliche Schuld abzulegen und nicht zu thematisieren. Denn so lange es einen Schuldigen gibt, muss der alles tragen, man selbst ist ja unschuldig und entwickelt sich nicht.
  4. Selbstwert wahrnehmen
    Um herauszubekommen, wie man mit sich und seinem eigenen Wert umgeht, ist es sinnvoll, die Sinnfrage einer toxischen Beziehung zu stellen. Also warum brauche ich in diesem Lebensabschnitt diese Beziehung? Was kann ich dadurch an mir lernen, und welche alten Glaubenssätze und Gewohnheiten kann ich dadurch abarbeiten? Die toxische Beziehung kann demzufolge ein transformierender Prozess für die Erhöhung des Selbstwerts sein.
  5. Chancengleichheit wahren
    Oft geht es bei der Trennung einer Beziehung um die Frage: Gibt es noch eine Chance? Um diese Frage zu beantworten, kommt es oft zu Bedingungen. Aber Veränderungen sollten in Echtzeit erfolgen, ansonsten sind sie immer nur eine Ankündigung. Alle Versprechen ähneln einem Plakat, das Konzert selbst aber ersetzt es nicht. Zum anderen sollten diese Umsetzungen auch immer von beiden Partnern erfolgen. Denn jeder Beteiligte hat seine Anteile, die er erst einmal mühevoll entdecken und auswerten muss. Dann sollten Veränderungen nicht zeitabhängig sein, sprich: sich zu verändern, “nur”, damit man wieder zusammenkommt, ist keine echte Einsicht in die Notwendigkeit, sondern höchstens die Motivation für einen Kompromiss, um das Ziel zu erreichen. Auch könnte der Zeitraum der Trennung wichtiger sein als nur eine unangenehme Lücke zwischen den Beziehungen. Beiderseitige Veränderungen benötigen Zeit. Vielleicht vereinbart man ein Treffen in einem halben Jahr, wo man über Einsichten durch diese Veränderungen redet.

Fazit

Toxische Beziehungen leben von der Ungleichheit der Partner. Sie zerstören die Freiheit und erzeugen einen Bindungszwang. Meistens liegen schwere Selbstwertprobleme dahinter. Doch die meisten Beziehungen, die als problematisch wahrgenommen werden, haben zwar toxische Anteile, sind aber reparaturfähig. Ob man sich diese Mühe machen will, steht dabei auf einem ganz anderen Blatt. Die Entwicklung des Selbstwerts ist daher für jede gesunde Beziehung ein wichtiger Baustein. Nicht nur für die eigenen Bedürfnisse, sondern auch für die Freiheit und den hohen Fremdwert gegenüber seinem Partner ist der Selbstwert verantwortlich. Daher ist die Beendigung von toxischen Beziehungen bei mangelndem Selbstwert nur schwer möglich, weil es anscheinend keine wirkliche Perspektive zu dieser Beziehung gibt. Bemerkt man aber, dass man unglücklich ist, dass man vor seinem Partner und seinen Emotionen Angst hat, fühlt man sich gegängelt, erdrückt oder manipuliert, sollte man sich professionelle Hilfe holen. Denn kurz aufblitzende Sonnenstrahlen von Liebe, Glück und Wonne sind nur die Farce, ja, die Sirenen für einen immer stärker werdenden Leidenssog.

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