Regression – wenn ich als Erwachsener “Mama” rufe

Immer wieder begegnen uns seltsame Menschen, die alles und jeden verklagen, sich ständig beschweren und ewig meckern. Zumindest scheint es so. Eine berühmt und viel belächelte Gruppe der Klagenden sind sogenannte Helikopter-Eltern. Ganze Filme drehen sich um das Phänomen, sein Kind vor allem Unbill zu schützen und alle äußeren Einflüsse genauestens zu filtern. Jede erdenkliche Situation wird diskutiert und meistens kritisiert. Das vermeintliche Wohl des Kindes scheint zur fixen Idee zu werden. Aber das ist ein eigenes Thema.

Betrachten wir nur einen Ausschnitt daraus. Hier das Beispiel: Das Kind bekommt eine schlechte Note, weil es einen Aufsatz nicht so schrieb, wie es der Lehrer erwartet hatte. Das Kind ist bedrückt, weiß aber, dass die Eltern sich noch viel mehr aufregen. Insgeheim frohlockend erzählt der kleine Stöpsel, dass er alles gegeben hätte und der böse Lehrer ihn ungerecht bestraft hätte, obwohl er doch bekanntermaßen der Klassenbeste sei. Die Eltern sind empört, dass dieser furchtbare Mensch (mittlerweile mutiert der brave Lehrer zum böswilligen Belzebub) überhaupt Lehrbefugnis hat und diese himmelschreiende Ungerechtigkeit so nicht stehen bleiben dürfe. Die Schulleitung wird informiert, rechtliche Schritte werden eingeleitet. Zack, nun ist es ein amtlicher Vorgang geworden, an dem mehr Menschen beteiligt sind, als alle, die diesen Aufsatz überhaupt je schrieben oder lasen. Was dann folgt, ist leider Alltag an Gerichten.

Doch was bringt einen eigentlich dazu, sofort bei den kleinsten Unstimmigkeiten mit dem Anwalt zu drohen? Warum prallen gegensätzliche Meinungen und Vorstellungen so hart aneinander, dass keinerlei Kompromiss zu schließen möglich scheint? In der Psychoanalyse kennt man die unbewussten Mechanismen der Angstbewältigung. Diese nennt man Abwehrmechanismen. Davon gibt es eine ganze Menge, z. B. eben die hier relevante Regression. Sie bezeichnet den Rückzug auf ein unmündiges, meist kindliches Verhalten, wo noch Eltern oder andere Autoritätspersonen die Gesamtverantwortung trugen. Ganz vereinfacht gesagt kann Regression also auch als Hilferuf an Mama oder Papa verstanden werden. Als Beispiel: Man hat ein Fenster eingeschmissen, der Bauer kommt wütend angerannt und will dir eine kleben, du rufst Mama oder Papa, die kommen und verhandeln mit dem Bauer, regeln alles Notwendige und geben dir somit Schutz und Halt.

Wird man als Erwachsener mit einer Ungerechtigkeit gegenüber seinem Kind konfrontiert, kann dieser Rückzug auf eine frühere Stufe der Persönlichkeitsentwicklung aus Angst und Unsicherheit (unbewusst) zwischen den Forderungen der Triebwünsche (“Ich knall dir eine, du hast meinem Sohn weh getan und ihn ungerecht benotet…”) und den Forderungen der Umwelt und der Bildung (“Das können wir doch auf Augenhöhe regeln, welche Anforderungen haben sie denn an den Aufsatz gestellt etc.”) geschehen. Denn gerade letztere (auch Über-ich-Forderungen genannt) bedingen eine Reife, die oft nur altersmäßig vermutet, aber weniger erworben als behauptet ist. Demzufolge kann die Regression auch eine Fixierungsstelle sein, an dem die Entwicklung nicht wesentlich vorangegangen ist. Doch zurück zu unserem Beispiel: Nachdem man also weder triebgesteuert reagiert, weil man den Lehrer nicht schlagen will (vielleicht hat man auch Angst, weil er stärker ist, oder man Angst vor weiteren Konsequenzen), aber auch die Forderungen des Über-ichs nicht erfüllen kann, weil man keine Ahnung hat, wie man das Problem auf kommunikativer Augenhöhe löst, ruft man “Mama und “Papa”. In diesem Falle ist es der Anwalt.

Der “Allwissende” ist der unabhängige Dritte. Diesen Nimbus hat nicht der Anwalt (in anderen Fällen der “Gott in weiß” – der Arzt) allein erschaffen, sondern er bekam ihn von seinen, aufgrund der Hilflosigkeit und Fixierung auf eine Stufe der unmündigen Persönlichkeitsentwicklung befindlichen Klienten. Nun soll der Anwalt alles klären. Die Meta-Aussage, die oft dahinter liegt, kann lauten: “Mir geschieht Unrecht, bitte, lieber Anwalt, verteidige mich, räche mich oder löse das Problem. Ich gebe mich in deine Hände, du bist der Herr und Meister, dir will ich folgen.” Natürlich klingt das drastischer, als es oft der Fall ist. Aber beobachtet man einmal Menschen, die oft und schnell die Anwaltskarte ziehen, so erscheint es doch manchmal gar nicht so abwegig, eher einem unmündigen, trotzigen Teenager gegenüber zu treten als einem erwachsenen Menschen. Die Abwehrmechanismen, eben auch die Regression, laufen unbewusst ab. Denn sie dienen ja dazu, das psychische Konstrukt zu bewahren und das Gleichgewicht zu halten. Daher ist es also keine krankhafte Veränderung, sondern eine Fähigkeit, sich zu steuern. Die Frage aber bleibt natürlich, ob manchmal mehr Selbstreflexion und ein gutwilliges Lächeln über sich selbst helfen könnte, gewisse Konfrontationen alleine zu lösen oder erst gar nicht aufzubauschen.

Denn von einem Gespräch zwischen Lehrer und Eltern war hier noch nichts zu lesen...

 

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