Prokrastination – ich mache es morgen

Hand aufs Herz, wer schiebt nicht mal unliebsame Aufgaben auf? Also ich kenne zumindest keinen. Aber was gemeinhin als lässliche Faulheit und belächelte “Aufschieberitis” gilt, kann bedrohliche und ernstzunehmende Züge annehmen. Denn es ist das eine, die Bachelorarbeit erst drei Wochen vor Abgabe anzufangen und dann jede Nacht durchzuackern, eigentlich hätte man ja ein halbes Jahr Zeit gehabt, ein anderes ist es, seit Wochen, Monaten keine Rechnung mehr zu öffnen, seine Hygiene zu vernachlässigen und den Überblick bis zur völligen Existenzgefährdung zu verlieren.

Ursachen gibt es viele

Auch hier sind die Ursachen sehr vielgestaltig, sie reichen von chaotischem Selbstmanagement bis hin zu traumatischen Kindheitserlebnissen, um nur einige wenige Ursachen anzusprechen. Heute soll es mal nicht um die sehr komplexen Gründe und Komorbiditäten der Prokrastination gehen, sondern eher um Möglichkeiten, also kleine hilfreiche Tipps, wie man damit umgeht. Sie werden bei ernsthaften Problemen eine Therapie weder ersetzen, noch das Problem lösen, aber sie vermögen vielleicht, sich ein wenig besser kennenzulernen, um seine Potentiale mehr zu nutzen.

Ich habe keine Lust dazu

Wenn man fragt, warum manche Menschen gewisse Dinge vor sich herschieben, hört man oft, dass sie einfach keine Lust gehabt hätten, anzufangen. Diese Aussage möchte ich mal etwas genauer betrachten. Denn zum einen kann es sein, dass es sich bei der aufgeschobenen Tätigkeit um eine Sache handelt, die einem wirklich schwer fällt, einem unangenehm ist und die Mühe und Konzentration erfordert, also deren Beginn einen hohen Schwellenwert an extrinsischer Motivation bedarf. Das können Abgabedaten sein, soziale Verbindlichkeiten, objektive Notwendigkeiten oder aber Zweifel Dritter über die eigene Kompetenz. Zum anderen jedoch können auch emotionale Dinge eine Rolle spielen. Der Chef ist doof, das können andere machen, ich mache das sonst schon immer, ich lasse mich nicht gängeln etc.

Das macht mir Freude

Anders verhält es sich mit Dingen, die einem Spaß machen. Hier sprechen Psychologen auch von intrinsischer Motivation, also die Energie, die man in sich spürt, um Sachen zu unternehmen und zu machen, ohne dass von außen irgendein Grund dazu besteht. Ein guter Test ist es, sich vorzustellen, was man trotz einer überraschenden finanziellen Unabhängigkeit über Nacht (Lottogewinn, Erbschaft) weiterhin tun würde. Da merkt man plötzlich, dass man gerne weiterhin Tennis spielen will, aber nicht mehr joggen möchte. Man will plötzlich Kammermusik machen, aber nicht mehr im Orchester spielen. Man will ausgehen, aber nicht mehr in diese komische Kneipe, wo immer nur Hipster rumhängen.

Was mir einst Freude machte, bereitet mir jetzt Mühe

Und dann gibt es den Fall, dass einem Dinge, die einst leichtfielen, wie Musik machen, basteln, mit Leuten reden, ausgehen etc. plötzlich Mühe bereiten. Das kann dann der Fall sein, wenn man intrinsisch motivierte Leidenschaften von außen verstärkt, beispielsweise die Musiker, Ergotherapeut, Psychologe oder Kneiper wird. Also sein Hobby zum Beruf macht. Hier entstehen wieder Verbindlichkeiten, die einen “zwingen”, das, was man einst gern machte, regelmäßig zu machen. Aus “Ich will!” wird: “Du musst!”

 

Kleine Tipps gegen das Aufschieben

Tausche Deine Fähigkeiten

Ein für mich wirklich lustiger Aha-Effekt war, nachdem ich meine behördlichen Unterlagen immer nur als Haufen von einem Ort zum nächsten räumte, dass ich im beruflichen Kontext sehr ordentlich war. Ich schien also organisatorisch gar nicht komplett begabungsfrei zu sein, sondern verhielt mich rahmenabhängig. Während ich also für andere sehr ordentlich war, um denen die Übersicht zu erleichtern, um sie nicht zu enttäuschen, war mir das selbst gegenüber egal. Ich war es mir also nicht wert genug, die gleiche Sorgfalt wie bei anderen an den Tag zu legen. Vielleicht kann man das nutzen, indem man Aufgaben miteinander tauscht: Ich mache deine Steuererklärung, du die meine; ich putze dein Auto, du meins; ich schreibe deine Briefe, du die meinen. Guckt selbst, was man abgeben kann und mit wem.

Mache das, was du kannst

Wir alle einigermaßen “normale” Menschen können viele Sachen, die wir aber nicht immer machen sollten, nur weil wir sie können. Auch hier ist es manchmal sinnvoll, nicht alles selbst zu machen, nur weil man es kann, sondern Aufgaben zu delegieren, um sich Dingen zu widmen, die man vielleicht besser kann. Es gibt Musiker, die mehr an ihrem Instrument herumbasteln als zu üben, und es gibt Instrumentenbauer, die in mindestens vier Bands spielen, aber daher nur sehr eingeschränkte Öffnungszeiten haben. In beiden Fällen muss man sich schon die Frage gefallen lassen, was das Ziel dieser “Nebenbeschäftigung” ist. Denn auch wenn der bastelnde Musiker hervorragende Arbeit leistet, ist er doch in erster Linie Musiker, sonst könnte er ja auch Instrumentenbauer sein. Und der Instrumentenbauer ist bestimmt ein sehr guter Musiker, aber seine Musik raubt ihm die Zeit dafür, seinen Beruf auszuüben. Hier sollte man mal über Prioritäten nachdenken. Also was einem so wichtig ist, dass man dafür etwas aufgibt.

Ich habe immer die Zeit, die ich brauche

Eigentlich heißt es ja nach C. Northcote Parkinson: „Arbeit dehnt sich in genau dem Maße aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht.“ Also wenn man sechs Monate für die Bachelorarbeit Zeit hat, braucht man laut diesem Spruch genau sechs Monate. Aber wenn man eben erst drei Wochen vorher anfängt, braucht man eben drei Wochen. Wenn man tagaus, tagein wenig tut und alle Zeit der Welt hat und nur am Mittwoch zur Apotheke muss und am Freitag Putztag ist, wird man wahrscheinlich weder am Mittwoch noch am Freitag einen zweiten Termin annehmen. Wenn man aber sowieso einen Zehn-Stunden-Tag hat und abends noch Freunde trifft, dann geht man zur Apotheke, wenn man von der Arbeit kommt und saugt schnell durch, bevor die Gäste kommen. Das heißt: Jeder von uns ahnt schnell, dass man verschieden mit Druck umgehen kann. Manchmal braucht man ein gewisses Drucklevel, um die notwendige Motivation zum Beginnen aufzubauen. Andere wiederum brauchen lange Vorlaufzeiten, um erst gar nicht unter Druck zu geraten. Doch alles das muss man bei sich entdecken und akzeptieren. Hier gibt es kein richtig oder falsch, sondern nur ein passt oder passt nicht.

Ich mache es mir leicht, nicht aufgeben zu können

Wie jetzt? Das Aufgeben schwermachen? Ja. Ein Beispiel: Die Steuererklärung werden viele nur ungern angehen. Analysieren wir mal die lapidaren Gründe, warum der Beginn schwerfällt: “Da fehlen noch eins, zwei Quittungen…”, “Ich muss erstmal einen Kaffee trinken…”, “Ich habe jetzt Hunger, brauche erstmal was zu essen…”, “Ich habe den ELSTER-Zugang verlegt..” etc. Diese und mehr Argumente schreibt man sich vorher auf, meinetwegen als To-Do-Liste, und löst die Probleme. Wenn man alles abgehakt hat, hat man einen Meilenstein erreicht, nämlich sehr gut vorbereitet zu sein, um endlich die Steuererklärung anzufangen zu können. Probiert es aus, ich bin gespannt.

Für andere bin ich natürlich da

Manchmal kann sozialer Druck positiv sein. Da ist es die Verabredung, pünktlich zu kommen. Das letzte bisschen Müdigkeit wischt man weg, hebt sich aus seinem Sessel und eilt los, nur um den Anderen nicht zu enttäuschen. Die Wohnung ist dreckig, das Saubermachen nervt. Da lädt man sich Freunde ein, um vorher genug Kraft zu entwickeln, sauberzumachen. Da verspricht man jemandem, mit ihm Laufen zu gehen, alleine wäre man eh zu faul. Und so weiter. Sucht Verbindlichkeiten, die die eigene Motivation stützen.

Ich mache alles gleichzeitig

Bestimmt nicht. Multitasking klingt toll, ist aber albern. Bis zu einem gewissen Grade ist das eine Begabungsfrage und auch eine Notwendigkeit, aber meistens eher eine Behinderung und ein Energieräuber. Je mehr wir konsumieren, desto passiver werden wir. Natürlich können wir beim Putzen auch mit einer Freundin telefonieren oder Musik hören, aber wenn wir merken, dass das eine nervt, weil wir etwas anderes machen, ist es Zeit, sich für eine Sache zu entscheiden. Aber man muss sehr ehrlich sein. Am schwersten ist es, sich nicht abzulenken. Denn man denkt, sich mit Ablenkung zu erholen, doch das täuscht. Seele und Körper reagieren auf eine Beschäftigung genauso wie auf zufällig angeklickte Videos. Daher ist es völlig belanglos, womit wir uns beschäftigen, wir werden Energie brauchen. Also ist es vielleicht sinnvoll, sich anzugucken, wofür man alles Energie benötigt, ohne ein Ergebnis beizusteuern: Welche Bilder haben einen beschäftigt? Welche Musik ging einem durch den Kopf? Welche Informationen überdenkt man? Und so weiter. Man wird feststellen, wie wenig davon aus eigenem Antriebe erfolgt ist.

Fazit

Prokrastination ist eine sehr komplexe Folge verschiedener Ursachen, die aber heute nicht das Thema waren. Aber der Prokrastination in ihrer harmloseren Form kann man durchaus begegnen, wenn man ehrlich den eigenen Schwächen gegenübertritt und sich eher als Partner statt als Richter seiner hilfebedürftigen Psyche sieht. Es ist kein Selbstbetrug, sich gewisser Strategien zu bedienen, um sich besser zu motivieren, schneller anzufangen und weniger schnell aufzugeben. Und eines ist auch wichtig. Oft ist die Frustration über nicht erfüllte Aufgaben größer als das Lob darüber. Schöner wäre es andersherum. Denn Erfolgserlebnisse zu wiederholen ist mehr als Frustrationen zu vermeiden.

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