Prinzip und Meinung – ein Virus zeigt, was Menschen trennt

Was etwas kryptisch klingt, meint ein Phänomen, welches wir gerade in den letzten zwei Jahren sehr deutlich wahrgenommen haben, nämlich durch die Spaltung unserer Gesellschaft in “Gläubige und Ungläubige” der Coronapolitik. Nun ist diese Tatsache nicht als singuläre Erscheinung unserer Tage zu verstehen, vielmehr ist es eine Spielart von ideologischen Prinzipien gegenüber einem fehlenden Meinungsaustausch. Wir haben alle erlebt, wie sich Meinungen verhärten können, Weltbilder statt Ansichten verbreitet werden und selten erlebte Toleranz oft nur verbrämte Gleichgültigkeit war.

Das Phänomen des Gesprächs

Der Gemeinplatz von der Spaltung der Gesellschaft meint ideologische oder politische Lager, die anscheinend unversöhnbar sind und von jeweils so grundverschiedenen Wahrheiten ausgehen, als dass man meinen könnte, zwei unverständliche Sprachen prallen aufeinander. Es gibt keine wirkliche Begegnung von Menschen, sondern vielmehr ein vorsortiertes Kompendium an Argumenten, die das Gegenüber als Bühne der eigenen Meinungsrepräsentanz benutzen. Wie bei Filteralgorithmen durch die Künstliche Intelligenz in sozialen Netzen werden Menschen nach Aussehen, Meinung und Umgang eingeordnet. Der sieht “bio” aus, also ist er Impfverweigerer. Der andere hat sein Kind in der Waldorfschule, also ist er Anthroposoph, ergo Schwurbler. Wieder ein anderer setzt die Maske im privaten Kreis auf, also ist er angstbesessen und der Lügenpresse hörig. So ließe sich noch eine ganze Liste ähnlicher Behauptungen aufzählen. Das Ziel ist meistens die Einordnung in wahr oder falsch, in passend oder unpassend, in gleichgesinnt oder feindlich gesinnt. Die grundsätzlich bei vielen Menschen ausgeprägte Eigenschaft, die Suche nach Harmonie, wird hier konterkariert und zum Kriterium für Freund und Feind.

Diese Verarmung von Debatten zugunsten aggressiv-kategorischer Definitionen geht einher mit einer Verarmung an Erfahrung. Denn eine solche zu machen bedeutet auch immer, sich etwas auszusetzen, dessen Ende unklar oder nur vage erahnbar ist. Denn Erfahrungen sind Erkenntnisse, die man im Vorhinein weder kennt noch weiß. Im Gespräch führt das dazu, dass eine Meinung ein bisher bekanntes Denkmuster hinterfragt und Perspektiven eröffnet, die bis dato verschlossen waren. Das muss nicht immer der hochphilosophische Diskurs weltumspannender Themata sein, sondern reicht tief hinein in den Alltag:

“Ich kaufe immer den Weichkäse auf dem Markt, alles andere schmeckt eh nicht.” “Das werde ich auch mal testen, danke, bisher habe ich die Erfahrung gemacht, dass der Brie bei Aldi sehr gut schmeckt. Musst du mal probieren.” “Echt? Ah, danke für den Tipp.”

So lapidar und klein das Beispiel klingen mag, wird doch hier zweierlei deutlich. Zum einen zeigt das Minigespräch den gegenseitigen Respekt an der Meinung des Gegenübers, zum anderen zeigt es auch die gegenseitige Bereicherung durch die gesammelte Erfahrung. Wie hätte es denn ohne diese Offenheit und Bereitschaft des Zuhörens klingen können:

“Ich kaufe immer den Weichkäse auf dem Markt, alles andere schmeckt eh nicht.” “Das ist totaler Blödsinn, auf dem Markt ist alles viel zu teuer, da wird man nur betrogen. Ich gehe zu Aldi, das ist das einzig Wahre.” “Das ist wieder einmal typisch, genau solche Ignoranten haben die Welt zu dem gemacht, wie sie jetzt ist, zu einem Klimakrüppel.” “Waaaas? Ich bin jetzt schuld an der Misere, die solche verlogenen Leute wie du anrichten, Mit ‘nem großen SUV in den Bioladen fahren und Toleranzfaschismus predigen. Ich könnte kotzen…”

Also man kann sich vorstellen, dass vom Weichkäse über den Klimawandel bis hin zur tätlichen Auseinandersetzung nur noch wenige Worte fehlen. Im ersten Beispiel gab es eine unsichtbare und vorausgesetzte Übereinkunft: Ich habe Interesse daran, was du zu dem Thema sagst. Beim zweiten Beispiel gab es das nicht. Hier war eher die Prämisse: Na warte, ich komme dir schon auf die Schliche, um dir zu zeigen, wer recht hat. Hier stand das Gegenüber von vornherein schon unter Generalverdacht.

Ein Gespräch ist daher nur dann sinnvoll, wenn wir bereit sind, unsere Muster durch die Denkanstöße und Meinungen des Gegenübers irritieren zu lassen. Denn erst dadurch sehen wir unser Gegenüber als gleichrangigen Gesprächspartner auf Augenhöhe, also als einen anderen Menschen. Ansonsten sehen wir ihn nur als einen Teil von uns, und zwar nämlich den Teil, der bekannte Meinungen und Ansichten vertritt, die wir aber ablehnen. Im zweiten Beispiel wird gar nicht wirklich zugehört, sondern das Gesagte nur als Stichwort für verdrängte oder als falsch empfundene Aussagen genommen. Es gibt also nur akzeptierte und abgelehnte Meinungen. Doch beide Argumentationen sind in uns, das eine wird propagiert, das andere dem Gegenüber in den Mund gelegt. So wird zwar viel gesprochen, aber es entsteht kein Gespräch. Charakteristisch ist außerdem, dass diese Auseinandersetzungen meistens emotionalisiert sind und die eigenen reflektiven Kräfte schwächt. Dinge nur wahrzunehmen, wie sie passen, ist zwar menschlich, aber sich Unbekannten auszusetzen, ist es eben auch.

Das Wissenwollen…

Eine typische menschliche Neigung ist es, Dinge zu verstehen und sein Wissen zu erweitern. Dafür werden Rückschläge, Kränkungen und Enttäuschungen in Kauf genommen. Die Wissenschaft wird dadurch angetrieben, Lernen funktioniert so.

…und das Nichtwissenwollen

Eine andere typische Neigung ist es, Dinge nicht wissen zu wollen, Unbekanntes auszugrenzen und seine Erfahrungen zu begrenzen. Hier werden Rückschläge, Kränkungen und Enttäuschungen abgewehrt.

Etwas Neues zu erfahren, kann also beglücken, befriedigen und erfüllen, aber eben auch kränken, deprimieren und ratlos machen. Viele weitere Spielarten von Emotionen sind natürlich denkbar.

Ein sehr einfaches Beispiel ist das Essen einer bisher unbekannten Frucht. A) Sie wird als Bereicherung und als sehr wohlschmeckend empfunden. B) Man findet sie widerlich und völlig unnötig. Beiden gemein ist aber die Erfahrung, den Geschmack dieser Frucht nun zu kennen. Denn Lernen (in diesem Falle den Geschmack der Frucht) ist auch immer eine Bewältigung der Unsicherheit, also die Überwindung der eigenen Angst

Wie funktioniert eine gegenseitige Verständigung?

Das Gespräch ist ein gesellschaftlicher Umgang mit Unsicherheit, Nichtwissen und Unbekannten. Es beinhaltet sowohl uneindeutige und widersprüchliche als auch gemeinsame und harmonierende Anteile. Die Psychoanalytikerin Else Frenkel-Brunswik bezeichnet die Fähigkeit des Menschen, Unklarheit und Indifferenz auszuhalten und mit Mehrdeutigkeiten und Unsicherheiten umzugehen als Ambiguitätstoleranz. Im Gegensatz zur Ambivalenz (oder auch als Erweiterung verstehbar) bezeichnet die Ambiguität das Erleben von unstrukturierten und unklaren Situationen. Es gibt also nicht nur richtig oder falsch oder plus oder minus, kurz, das dualistische Aufeinandertreffen unterschiedlicher Meinungen, sondern die innere Spannung von miteinander nicht logisch zusammenpassenden Verknüpfungen.

Die Toleranz zur Ambiguität ist demzufolge die Fähigkeit, diese innere Spannung auszuhalten, um durch sie neue Erfahrungen machen zu können. Bei jedem Menschen sind die “Grenzwerte” dieser Spannungen verschieden, da eine innere Kohärenz, bei dem einen weniger, bei dem anderen mehr, zum Überleben des intrapsychischen Systems notwendig ist. Kurz: Der Eine versteht bis dahin Spaß, dann nicht mehr, beim Anderen darf auch dort noch gelacht werden.

Die Ambiguitätstoleranz als Errungenschaft

Im Gegensatz zu vielleicht angeborenen oder irreversiblen Talenten oder Prägungen ist die Ambiguitätstoleranz erlernbar, ja, sie bedarf sogar einer immer wieder belebenden Übung.

In autoritären Systemen, von denen das 20. und 21. Jahrhundert anscheinend immer noch nicht genügend zu haben scheint, ist es eine spannende Frage, welche Persönlichkeitsmerkmale Menschen besonders anfällig für autoritäre Systeme und Ideologien machen. Erste Studien wurden schon nach dem 2. Weltkrieg erhoben. (Theodor W. Adorno, Else Frenkel-Brunswik, Daniel J. Levinson, R. Nevitt Sanford: The Authoritarian Personality. New Harper und Brothers, New York 1950.) Und es zeigte sich ein gewisses Muster: die Sympathie für antidemokratische, autoritäre und faschistische Systeme, die Autoritätshörigkeit, der Konventionalismus, die Angepasstheit, die Feindschaft zu allen schöngeistigen und kreativen Prozessen und zu Freiheit und Kunst. Diese Muster gehen einher mit einer alles um sich her vernichtenden Aggressivität, verhaften sich im Aberglauben und wurzeln in einer Schicksalsergebeheit von einem kausalen Determinismus bis hin zum Fatalismus. Oft zeigt er sich im Zynismus, der wiederum ein Charakterpanzer seiner eigenen Ambivalenz und Ambiguität ist. Eine feststehende Überzeugung zeigt sich als Intoleranz gegenüber Ambiguitäten.

Die Ambiguitätsabwehr und andere Abwehrmechanismen

Ambiguitätstabwehr – Man überlege sich mal, wie fatal es wäre, wenn man bei sich ein wenig Verständnis für die “total falsche Meinung” des Gegenübers entdeckt. Hier kommt die Ambiguitätstabwehr zum Tragen. Das bedeutet, dass andere Meinungen angegriffen werden, um sie bei sich selbst auszurotten. Symptomatisch sind dann solche definitorischen Floskeln wie: “Es ist so…”, “Das einzig richtige ist…”, “Hierüber diskutiere ich nicht…” etc. Diese kommunikativen Bemächtigungsversuche, den anderen mundtot zu machen und dessen Position zu ignorieren geht oft mit einem hohen Aggressionspotential einher. Um die Indifferenz als drohende Macht auszuschalten, ist manchmal jedes Mittel recht, auch die tätliche Gewalt. Diese starke Emotionalität kann aber nur dann eine wichtige Rolle spielen, wenn eine eigene starke Emotionalität abgewehrt werden muss – die Angst. Im psychoanalytischen Sinne ist bspw. Krieg die Auflösung aller inneren Spannungen und die Beseitigung aller inneren Widersprüche, die komplett zu einem äußeren Gegensatz gemacht werden. Es gibt nur noch dualistisch Freund vs. Feind, die Welt wird zwangsvereinfacht.

Verdrängung und Spaltung – Die Mehrdeutigkeit von Empfindungen werden ausgeschaltet, es darf nur eindeutige Gefühle geben, eine Mehrdeutigkeit wird abgewehrt. Es gibt immer “nur” schön, “nur” gut, etc. Selbstironie und Humor sucht man vergebens. Der Prozess der Spaltung ist ein Selektionsprozess der bei jeder neuen Information automatisch im Hintergrund läuft.

Abspaltung – Dem Gegenüber werden eigene Anteile angelastet (Wir hatten es oben!) Die Gleichzeitigkeit von wahr und falsch, von moralisch und unmoralisch, von wissenschaftlich und unwissenschaftlich oder von gut und schlecht geht nicht. Die Synthese ambivalenter Gefühle und Erfahrungen werden selektiert (siehe oben) und in passend und nicht passend sortiert. Das eine “Fässchen” behält man, das andere schiebt man dem anderen unter. Gerade emotionale Ambivalenzen haben eine starke Verbindung zueinander, die dadurch abgespalten werden.

Angstlust – Als Gegensatz zum Lebenstrieb (Eros) gibt es nach Freud auch den Todestrieb (Thanatos). In diesem speziellen Falle ist die Angstlust die Lust an der Zerstörung, ein Fest der Dekonstruktion, ein “Karneval des Infernos”. Doch ohne eine heimliche Lustseite gäbe es weder Verschwörungstheorien noch die Katastrophenbegeisterung der Medien. Weder der Vorabendkrimi würde in seiner millionsten Variante funktionieren, noch gäbe es kilometerlange Staus durch Unfallgaffer. Ja, man kann boshaft sagen, die komplette Medienlandschaft wäre ohne die Angstlust nicht denkbar. Diese Angstlust ist ein wichtiger Baustein für “Wahrheitstheorien” und “Hintergrundinformationen”.

Homunculus-Effekt – In diesem Falle war es mal kein Psychologe oder ähnliches, sondern Goethe höchstselbst, der durch die Beschreibung der Schaffung eines künstlichen Menschen im Faust II für mich Namensgeber war, die Konstruktion eines Gegners. Ein unerschütterliches und “wahres” Selbstverständnis braucht ein Gegenüber, das alles, was man ist, nicht ist, das Unvollkommene, die “falschen” Ansichten, die unklaren Aussagen, die Unsicherheit, die fehlende Überzeugung etc. Erst dieses Gegenüber bestätigt einen in seiner Richtigkeit. Das dualistische Prinzip von Hölle und Himmel (auch hier kann man über Goethes Faust sinnieren) braucht es, um sowohl die Hölle als auch den Himmel als solche überhaupt erlebbar zu machen. Erst der Gegner macht einen selbst zum Apologeten der “richtigen und wahren Meinung”. Und wenn es ihn nicht gibt, so wird er konstruiert. Ihm wird alles untergeschoben, was man selbst auslagern möchte. Das vielleicht berüchtigste Beispiel ist die “Verschwörung des Weltjudentums”, was bei den Nazis letztendlich an allem Schuld war, bis hin zur Niederlage und bedingungslosen Kapitulation.

Entwertungsabwehr – Manche Menschen arbeiten sich an der Dummheit oder an den Verfehlungen anderer ab. Dabei sagt die Größe des ausgesuchten Gegners viel über das eigene Format aus. Denn der “Gegner” beinhaltet immer ausgelagerte Teile seines Selbst. Das soll nicht heißen, dass man Angriffen nicht auch parieren darf, aber man sollte auch beständig in sich lauschen, ob und welche Meinungen oder Ansichten einen besonders triggern.

Ablehnung von Objektübernahme – Im Prinzip ist Unkenntnis leicht zu korrigieren, anders verhält es sich mit dem Unwillen, sich mit etwas auseinanderzusetzen und etwas wissen zu wollen. Das braucht die Bereitschaft, die Perspektive von sich auf den anderen zu wechseln. Das ist eine aktive Arbeit, die nur mithilfe von Motivation und Zielsetzung gelingt. Erst das innere Zwiegespräch durch verschiedene Perspektivübernahmen heißt Denken. Fehlt es, verweigert man nicht nur das Denken, sondern es bedeutet auch, Gefühle nicht zu akzeptieren, zum Beispiel der Trauer, des Schmerzes und der Verzweiflung. Man reagiert inhuman und koppelt sich so auch von seinem eigenen Schmerz ab.

Realitätsverzerrung – Ein klassisches Schwarz-Weiß-Schema bedarf einer Realitätsverzerrung, das war schon im frühen Fernsehen so, oder noch eindeutiger, in den Schattenspielen der Scherenschnitte. Im 18. und 19. Jahrhundert war ein Schattentheater ein gesellschaftliches Ereignis, bspw. bei Goethe und seinem Kreis in Tiefurt. Übertragen auf Meinungen kommt es bei der Realitätsverzerrung zu einer “selektiven Begriffsstutzigkeit”. Das Ich wird künstlich gestärkt, indem Eindeutigkeiten gebildet, bzw. behauptet werden. Dadurch wird die Angst gebunden, durch Unklarheiten eventuell die eigene Position zu schwächen. Angst und Aggression liegen nah beieinander. Je plakativer und agitierender die eigene Meinung durch das Scharz-Weiß-Raster gepresst wird, desto “richtiger” und “falscher” sind die herauskommenden Meinungen. Kognitive und emotionale Widersprüche sind ausgemerzt. Demzufolge kann nun klarer gegen die “falsche” Meinung zu Felde gezogen werden. Denn die Deutungshoheit liegt beim Entscheider. Oft dient die evidenzbasierte und studienabgesicherte Wissenschaft dazu, Eindeutigkeiten zu schaffen. Doch kaum wird die eine Sache klar, ploppt die nächste Unschärfe auf. Die Tragik dabei ist, dass in der Dynamik dieses Prozesses der Gesprächspartner zur Gegnerposition zwangsverpflichtet wird, da er als Objekt die Gegenposition übergestülpt bekommt. Doch auch wenn man das merkt, ist es schwer, sich dem oktroyierten Freund-Feind-Schema zu entziehen und nicht der “willige” Gegner des Autoritätskaspers gemacht zu werden. Die projektive Anfeindungen kann man nur mittels Fragen begegnen, alle “Meinungen” ähneln zu sehr den oktroyierten Mitteln und führen eher zu Vergeltung als zu Versöhnung.

Regression – Ein wichtiger und offensichtlicher Abwehrmechanismus ist die Regression. Otto F. Kernberg meint dazu, dass die andauernde Angst (Angst vor Kontrollverlust, Angst vor der “falschen” Meinung etc. ) das Denken angreift und bis zu einer paranoiden Spaltung von Gut und Böse führen kann. Die Akzeptanz und die Balance der Ambiguitäts-Paradoxie ist entwicklungsbedingt ein wichtiger Individuationsprozess (nach C. G. Jung). Schon früh erleben wir als Kinder, dass dieselbe Person, die mich küsst und herzt, auch diejenige ist, die sich meiner entzieht und mich alleine lässt. Später dann sind es die Eltern, die mich nähren und mir Geborgenheit geben, die mich aber auch bestrafen und reglementieren. Ich muss also frühzeitig lernen, mich von den Personen, die mir am nächsten sind, auch abzugrenzen.

In der frühen Kindheit sind die ambivalenten Gefühle von Angst und Sicherheit externalisiert. Das heißt, die Person, die mich in den Arm nimmt und mich tröstet ist nicht dieselbe, die mich alleine lässt oder straft. Das Ambiguitätserleben braucht immer mehrere Objekte. Erst später “begreifen” wir, dass beide Seiten zu ein und derselben Person gehören. Dass Konflikte auch innerhalb von “Ganzobjekten” entstehen können und ausgehalten werden müssen, ist ein Reifungsprozess, der kognitiv und emotional anstrengend ist und beständig gepflegt und belebt werden muss.

Fazit

Corona hat gezeigt, dass Angst ein schlechter Unterhalter ist. “Eherne Standpunkte”, “missbrauchte Ideologien”, “unverrückbare Wahrheiten” und viele weitere Ersatzeltern für ehemals Meinungen rücken ins Feld, um andere Meinungen zu bekämpfen, ja, auszurotten. Das angstbesetzte Ziel ist immer die Tilgung von Unschärfen und Indifferenzen. Daher ist auch hier der Wille zur Erkenntnis auch die Angst vor der Nichterkenntnis. Habt Mut dazu, sich in die Gefühlslage des Gegenübers einzudenken. Betreibt keine Wortklauberei, sondern versucht zu verstehen, welche emotionalen Hürden einem Verständnis entgegenstehen. Oft ist es Angst und Unsicherheit, mit seiner eigenen Hilflosigkeit umzugehen. Denn Pedanten und Agitatoren der einzigen “Wahrheit” leiden oft unter einer Kontrollsucht und der fieberhaften Suche nach der Definition, nach dem Eindeutigen oder nach dem Objektiven – also nach einer vermeintlichen Sicherheit. Panikattacken und Angststörungen sind nur ein paar Varianten, wie sich der Körper gegen diesen Wahn der absoluten Kontrolle wehren könnte.

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