Menschen und Meinungen – die Verschwörungstheorien

Über die Stadt Bielefeld zu reden, ohne deren Existenz zu bezweifeln, ist fast genauso unmöglich, wie über Verschwörungstheorien zu reden, ohne Bielefeld zu nennen. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Theorien handelt es sich bei der sogenannten Bielefeldverschwörung um einen Jux von Achim Held, den zwar die meisten kennen, aber an deren Wahrheit meines Wissens nach keiner glaubt. Anders verhält es sich dagegen mit der Mondlandung, mit den Vorgängen um das World Trade Center am 11. September 2001, mit den Chemtrails und mit Corona, um nur einige wenige zu nennen.

Verschwörungstheorien, was ist das eigentlich?

Psychologisch betrachtet könnte man natürlich sofort meinen, dass Menschen, die einen Hang zu Verschwörungstheorien haben, an paranoiden Wahnvorstellungen leiden, zumindest einen Hang zur Paranoia haben. Auf deutsch: Hinter jedem Busch vermuten sie einen Räuber. Das ist bestimmt auch bei einigen der Fall, würde aber als Erklärung für das Phänomen Verschwörungstheorien in der Gesellschaft eindeutig zu kurz greifen. Der deutsche Psychiater Prof. Manfred Spitzer beispielsweise lehnt eine Pathologisierung allein wegen der Häufigkeit des Vorkommens ab. Statistisch gesehen, meint er, wären allein die Hälfte aller US-Amerikaner davon betroffen. (Was entweder für seine Theorie oder gegen die Amerikaner spricht…)

Übrigens, die Neigung, an Verschwörungstheorien zu glauben, scheint nach mehreren Untersuchungen ein Persönlichkeitsmerkmal zu sein: Menschen, die einer Verschwörungstheorie anhängen, haben eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, auch an weitere glauben.

Die Verschwörungstheorie als Lieblingsmacke?

Psychologen haben sich aus aller Welt sehr gerne dieses Themas angenommen, da es sowohl interessant ist und dazu noch Spaß macht. Der Aluhut gewinnt psychopathologisch viele Sympathiepunkte. Demzufolge gibt es unterschiedliche Interpretationsansätze. Die einen sprechen von Störungen, die Tiefenpsychologie von Projektionen, wieder andere sehen darin sich manifestierende Minderwertigkeitsgefühle. Summa summarum aber erzählen Anhänger von Verschwörungstheorien meistens vieles über sich, ob sie nun wollen oder nicht.

Kann nicht sein, klingt zu einfach.

Man kann Verschwörungstheorien oder auch Verschwörungsmythen als alternative Erklärmodelle für bekannte Phänomene oder Ereignisse ansehen, die akzeptierte und bekannte Begründungen ablehnen oder sogar bekämpfen. Meistens sind diese alternativen Erklärmodelle in sich so geschlossen, dass eine offene Argumentation oder Kombination von anderen Ansichten unmöglich ist. Allen gemein ist eine tiefe Skepsis bisheriger Argumentationen, oft unterstellen Verschwörungstheorien dem Staat oder einzelnen Personen eine geplante Desinformation und Agitation, um eigene, geheime Interessen zu vertreten. Mit anderen Worten: Eine Verschwörungstheorie ist nur dann eine gute Verschwörungstheorie, wenn sie die Verschwörung in den Mittelpunkt bringt, nicht den Zweifel.

Der falsche Goethe

Verschwörungstheorie Teil 1, eine alternative Wahrheit wird erfunden:

Goethe lebte nie in Weimar, und eigentlich war Goethe eine Frau, die aber aufgrund der damaligen Verhältnisse geheim gehalten wurde. Johann Wolfgang, der vom Hofe in Weimar eingeladen wurde, hieß eigentlich Torsten Schultz und war ein Schauspieler, der einen Dichter spielen sollte. Die Texte und geistreichen Bonmots etc. bekam er alle durch seine Frau Silke geschrieben, die aber unerkannt bleiben musste. Es gab einen Johann Wolfgang von Goethe, der aber nie ankam. Er starb auf der Fahrt durch die Hand von Räubern. Das war die Chance für Torsten. Und so kam es, dass erstens der berühmteste Dichter der Deutschen eine Frau war und zweitens sein Apologet Torsten hieß.

Verschwörungstheorie Teil 2, die Verschwörung wird benannt:

Der Herzog Carl August wusste davon nichts. Schon damals musste man es geheim halten, denn zu großen Erfolg hatten “Goethes” Texte. Wirtschaft, Renommee und Glaubwürdigkeit waren gefährdet. Ein berühmter Minister und Dichter hieß nicht Torsten und schon gar nicht Silke, so.

Verschwörungstheorie Teil 3, warum sie auch heute noch “verschworen” ist:

Heutzutage wiederum stellt diese Tatsache die gesamte Klassikstiftung, ja, das gesamte Klassische Weimar infrage. Wie schon bald durch Samuel Johnson aufflog, dass der “Ossian” eine Fälschung war und es dennoch niemand glaubte, wäre das bei Goethe ein Skandal. (Immerhin hatte Herder dem falschen Goethe den falschen Ossian nahegelegt. Wie peinlich.) Und je mehr Beweise für den echten Goethe gesammelt und gezeigt werden, desto infamer und dichter ist das Lügengestrüpp um die eigentliche Existenz von Silke und Torsten.

Fazit

Ich bin ganz benommen von meiner eigenen Verschwörungstheorie und glaube nun selbst daran, dass Silke den Faust geschrieben hat. Und alle anderen, die mir beweisen wollen, dass das Quatsch sei, belächle ich mild, da sie wie Fliegen im Sonnentau zappeln, aber sich dadurch nur umso tiefer verfangen.

Verschwören heißt glauben!

Sprechen wir von staatlich „verordneten“ Verschwörungstheorien, sehr beliebt in Diktaturen, dann sieht die Sache natürlich anders aus, weil hier der Glaube daran eher die übliche Lehrmeinung darstellt und die Hinterfragung dessen eher oppositionell wirkt. Es kommt also auch immer darauf an, wieviele hinter einem stehen. Und auch die Frage nach den Konjunkturen der Verschwörungstheorien, das heißt, wieso es zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Ländern mal mehr, mal weniger davon gab, wird in der Forschung unterschiedlich beantwortet. So gelten sie etwa als ein Krisensymptom, als ein Überbleibsel mythischen, unaufgeklärten Denkens oder im Gegenteil als Begleitphänomen der Aufklärung.

Die Liste der verschiedenen Arten und Formen, der Größe, Radikalität und Absurdität, der Beliebtheit und der Zeit von Verschwörungstheorien ist so mannigfaltig, dass ich hier ein echtes Beispiel herausnehmen möchte, und zwar das allseits beliebte Thema Corona.

Ist Corona ein Virus oder eine Religion?

Ich war neulich in der Waldorfschule, um mir ein Konzert anzuhören, etwas später telefonierte ich mit einer Freundin, die sowohl ihre Kinder in einer solchen hat als auch der Christengemeinschaft und  Anthroposophie sehr nahe steht. Wir streiften nur am Rande das umstrittene Thema Impfen, aber auch die neuerdings wieder hochgekochte Diskussion um die Homöopathie. Die Meinungslandschaft war eindeutig. Etwas später traf ich einen Freund in der Kneipe, der ein bekennender Kritiker der Schulideologisierung durch die Anthroposophie ist und auch deutliche Worte zu deren verwandten Themata wie Impfkritik, Homöopathie und anthroposophischer Medizin findet. Hier war plötzlich die bisher eindeutige Meinungslandschaft total umgebrochen. Was noch einen Tag vorher Konsens bei allen meinen Bekannten war, wurde einen Tag später auf dem Prüfstand der Verschwörungstheorie verdächtig. Es ist eben immer eine Frage der Relation.

Die Meinungslandschaft ist auch nur ein Gebirge.

Betrachtet man aber die Ereignisse um das Coronavirus, stellt man fest, dass sich hier gesellschaftlich deutliche Lager aufspalteten. Das unbekannte Virus mit seiner unbekannten Epidemiologie wurde tagein, tagaus medienwirksam zum wichtigsten Gegenstand sämtlicher Diskussionen. Mutmaßungen, Hochrechnungen, wildeste Spekulationen und die obligatorischen Meinungen (auch so ein Phänomen, immer eine Meinung zu etwas haben zu müssen…) zu staatlichen Sanktionen und Maßnahmen zeigten, oft nur wenig verstellt, die Angst, die Ratlosigkeit und die Wut über die eigene Machtlosigkeit. Und dennoch war es verschieden, wie die Menschen sich damit arrangierten. Die einen fügten sich in das für unvermeidlich gehaltene Schicksal und erduldeten alle Restriktionen und Verordnungen. Die anderen nutzten nun alle Möglichkeiten des weltweiten Informationsnetzes, entwickelten eine idiosynkratische Beziehung zum Staat und wurden selbst „Experte“. Wieder andere apologisierten alle staatlich verordneten Maßnahmen und waren besonders „brave“ Bürger. Dass die beiderseitigen Diskussionen immer mehr zu unüberwindlichen Konfrontationen wurden, nimmt dabei nicht Wunder. Doch das Thema hatten wir das letzte Mal. Nun ein Wort zur Meinungslandschaft. Ich hatte die Möglichkeit, viele verschiedene Meinungsbilder kennenzulernen. Ich zähle hier nur fünf auf, denn diese Argumentationen habe ich selbst erlebt. Aber natürlich gibt es noch viele weitere Spielarten dieser Meinungsvielfalt:

  1. Der Coole: Corona gibt es wahrscheinlich schon, ist mir aber egal, alles, was die da oben beschließen, ist völlig übertrieben, undurchdacht, überschnell, viel zu krass, Angst und Panik verbreitend, wieder mal typisch unfähig und chaotisch.” Tenor: “Ich lasse mir nicht meine Freiheit verbieten, nur weil jemand Paranoia schiebt.”
  2. Der Intellektuelle:Also ich habe die und die Studie gelesen, die andere übrigens auch, das ist so gar nicht wahr, es gibt durchaus keine eindeutigen Hinweise darauf, dass die und die Maßnahmen notwendig wären, also ich sehe das sehr kritisch, bin aber grundsätzlich mit den Maßnahmen einverstanden, aber mir ist das viel zu wenig wissenschaftlich und viel zu sehr Mainstreambildung. Das ist Politik für Doofe.”
  3. Der Experte: Auch ich habe Studien gelesen, aber eben nicht nur die der staatlich verordneten Gesundheitspolitik, nein, auch die anderen, die keiner hören will. Corona ist nämlich nur eine etwas andere Art einer Grippe. Das was hier passiert, ist staatlich verordnete Panikmache, weil nur einem Virologen gehört wird und nicht die kritischen Stimmen der vielen anderen Gesundheitsexperten berücksichtigt werden.”
  4. Der Zweifler: Corona? Dass ich nicht lache, das ist doch eine erfundene Krankheit. Sie ist wie die Wurst des Diebes für den Wachhund. Corona dient nur dafür, die Medien von den eigentlichen Themen abzulenken. Egal wie sie auch immer wieder statistisch und persönlich versuchen, mit vielen Toten zu beweisen, dass es Corona gibt. Es ist eine riesengroße und makabre Lüge. Es geht um was ganz anderes…”
  5. Der Gegner: Corona? Mag sein, dass es eine neue Form der Grippe gibt. Nur komisch ist, dass erst eine neue Krankheit aus den Laboren Chinas kommt und es plötzlich tausende Pharmakologen gibt, die sofort einen Impfstoff dagegen entwickeln können, und das alles innerhalb eines Jahres? Nachtigall, ick hör dir trapsen. Und dabei ist nicht zu übersehen, welch ungeheurer wirtschaftlicher Vorteil daraus erwächst.”

Ein Fazit oder lieber was Neues?

Also normalerweise müsste hier ein Fazit kommen, aber irgendwie machen ja Verschwörungstheorien Spaß. Daher habe ich mich entschlossen, noch ein sehr schönes Beispiel aufzuführen:

Und das ist die Überzeugung, dass die Erde eine Scheibe sei. Zum einen geht es um die schon in der Bibel apostrophierte Scheibengestalt, die als richtig angenommen wird, zum  anderen, und zwar hauptsächlich, geht es um die Fehlinformation, dass die Erde eine Kugelform hätte. Im Zentrum steht also die Verschwörung, nicht die alternative Ansicht. Anhänger dieser Theorien sind sich natürlich nicht alle grün, gewisse Flacherdler bekämpfen die Flat Earth Society, die sie als Wolf im Schafspelz sehen und eher zur Satire als zu Aufklärung zählen. Auch eigen sind die Vertreter dieser Theorie. In Deutschland, wie kann es anders sein, ist vielleicht Xavier Naidoo bekanntester Vertreter. (Aber er scheint ja jüngst von seinen Überzeugungen Abstand zu nehmen.) Und auch hier zeigt sich die Tendenz, von der wir oben sprachen: Ist man von einer Verschwörungstheorie überzeugt, so ist der Weg zu anderen nicht weit. Unter den Flacherdlern tummeln sich daher auch Covidleugner, 9/11-Verschwörungstheoretiker oder Mondlandungskritiker. Auch Chemtrails und 5G werden heiß diskutiert.

Grundregeln für Verschwörunsgtheoretiker

Das Land der unbegrenzten Freiheiten hat auch die meisten Verschwörungstheorien herausgebracht. Das ist an sich nicht symptomatisch, aber vielleicht psychisch bezeichnend. Immerhin braucht es zum einen Menschen, die sich offen und kritisch mit bestehenden Ansichten oder Lehrmeinungen auseinandersetzen können und dürfen und zum anderen braucht es die Freiheit und Freizeit, alternative Fakten zu sammeln und sich damit zu beschäftigen.

Doch betrachten wir mal obige Verschwörungstheorie genauer: “Die Erde ist eine Scheibe!” Dass mittlerweile fast alle Menschen das Gegenteil glauben, ist hinlänglich bekannt. Beweise gibt es zuhauf. Doch wie kann man dennoch an die Scheibentheorie glauben? Hier gibt es gewisse Grundregeln, die es zu beachten gibt, will man Verschwörungstheorien glauben:

  1. Die gängige Lehrmeinung ist eine Konstruktion weniger Eliten, die damit ein gemeinsames Ziel verfolgen.
  2. Das gemeinsame Ziel hat immer etwas mit Macht oder/und Geld zu tun, oft die Weltherrschaft.
  3. Alle gegenteiligen Beweise sind Fälschungen, um die gängige Lehrmeinung zu unterstützen und die kritische Meinung zu unterdrücken.
  4. Alle kritischen Meinungen werden sukzessive verfolgt und ausgerottet. (Beispielsweise durch Lächerlichmachen, durch sogenannte schlüssige Beweise, durch gesetzliche Verfolgungen wie Anklagen, einstweiligen Verfügungen etc.)
  5. Die Kritiker sind sich zwar selten wirklich einig, aber demonstrieren nach außen eine eingeschworene Gemeinschaft.
  6. Wer einer Verschwörungstheorie glaubt, ist auch bereit, andere gängige Lehrmeinungen zu hinterfragen. Beliebte Kombinationen sind: Covidleugner, 5G-Lüge, Chemtrails.
  7. Alternative Fakten brauchen alternative Denkstrukturen. Jede Diskussion darüber ist Demagogie des Gegners, daher ist es schwierig, sich auszutauschen.

Paranoide Spinner oder kritische Bürger?

Man sollte generell sehr vorsichtig sein, Menschen, die bereit sind, sich der Lächerlichkeit Preis zu geben und alles für eine Idee zu opfern, ausschließlich als Spinner und Schwurbler zu diffamieren. Denn unabhängig von den eigenen Ansichten, kann unser hartes Urteil genauso schwach und falsch sein, wie die unbeugsame Haltung der “Spinner”. Und manchmal waren solche sehr notwendig, denken wir beispielsweise an Watergate oder Irangate. Beides sind durch kritische Presse aufgeklärte und wirklich stattgefundene Verschwörungen. Hierbei handelt es sich also um einen investigativen Journalismus.

Fazit

Nun also doch. Verschwörungstheorien sind ein dankbares und sehr weites Feld. Begegnen wir Menschen, die sehr engagiert ihre Meinung vertreten, müssen das nicht sofort Feinde sein. Gerade Verschwörungstheoretiker entwickeln ein agitierenden Verve, der schon anstrengend sein kann. Aber andererseits können von ihnen auch Denkanstöße ausgehen, die uns in unserer Bequemlichkeit aufzurütteln vermögen. Und schlussendlich bleibt immer noch der Validationsansatz des Mitfühlens. “Ich bemerke dich, ich sehe, dass dich das Thema quält und ich halte zu dir, auch wenn du geistig gerade weit entfernt bist.” Manchmal ist das schon viel.

So und nun nochmal zu Silke und Torsten. Vielleicht ist das gar keine Verschwörungstheorie, sondern ein Korn für mich blindes Huhn, was eine wunde Wahrheit entdeckt hat. Denkt mal drüber nach…


Bitte beachtet auch meine Schwerpunktseite: www.musikerberatung-frieling.de.

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