Meckern – Wie schön es ist, etwas schlecht zu finden

Entweder sind die Züge zu voll oder zu leer, zu spät oder fahren gar zu früh, sind viel zu selten oder viel zu oft. Die Deutsche Bahn scheint ein idealer Nährboden für die Lieblingsbeschäftigung der Deutschen zu sein – das Meckern. Wie man es auch dreht und wendet. Irgendetwas ist immer. Ein anderes Meckerthema schlechthin ist das Wetter: zu heiß, zu kalt, zu windig, zu trocken, zu nass, zu schwül. Da man das Wetter aber noch weniger ändern kann als die Deutsche Bahn, gehört das Meckern über das Wetter fast schon zur Kommunikations- und Gesprächskultur.

Meckern, nörgeln, jammern – woher kommt das?

In einem Land, in welchem die meisten Einwohner überdurchschnittlich zu essen haben (was man auch sieht) und gut wohnen (was man eher weniger gut sieht), scheint die Unzufriedenheit ein wichtiger Parameter im persönlichen Alltag zu sein. Ein entscheidender und systemimmanenter Grund ist der hohe Lebensstandard, wodurch die wirtschaftliche Fallhöhe groß ist. Demzufolge wächst auch die Angst, diesen Standard zu verlieren und sich mit weniger zufriedengeben zu müssen. Gerade in Zeiten wie diesen, wo Rezession, Preissteigerung und Werteverfall drohen, ist Angst vor Veränderung allgegenwärtig.

Viele wirtschaftliche Standards wie Autos, Haus, Garten, Privatschule, Auslandsurlaube etc. sind Ergebnis eines gutbezahlten Jobs. Der permanente Druck, sowohl den Job zu behalten als auch mit dem dort verdienten Geld das eigen erstellte Niveau halten zu können, erzeugt neben der besagten Angst auch Druck, Stress und natürlich Unzufriedenheit darüber, so abhängig zu sein. Das allerdings muss nicht bewusst geschehen. Viele dieser gutverdienenden Eigenheimbesitzer klagen über ein dumpfes und graues Abhängigkeitsgefühl, das sich wie ein Korsett um einen schlingt.

Historisch gesehen verankern einige Psychologen den Grund in einem tief eingeprägten Obrigkeitsdenken. Preußische Tugenden, Pickelhaube und Kasernenton scheinen geistig Pate zu stehen. Für mich ist das nicht ganz schlüssig, da auch andere Länder und Nationen diese geschichtlichen Zeiten durchliefen und nicht zu den Meckernationen zählen. Dennoch scheint es einen direkten  Zusammenhang zwischen Opportunismus und Nörgeln zu geben. Auch nach mehr als 30 Jahren Wende gibt es viele Menschen im Osten Deutschlands, die schimpfen und meckern, alles verteufeln und die gesamte Politik in Bausch und Bogen ablehnen oder für komplett daneben halten. Es sind aber oft diejenigen, die eindeutig profitiert haben, die im sanierten, schnuckeligen Eigenheim wohnen und kapitalistische Edelkarossen fahren. Seltsam mutet es schon an, wenn ostalgische Erinnerungs(un)kultur mit brauner Brauchtumspflege wild zusammengewürfelt wird und daraus eine Protesthaltung entsteht, mit der sich ganze Landstriche zu identifizieren scheinen. Aber ist es wirklich nur die Ablehnung der bestehenden Ordnung, oder manchmal auch die Ablehnung einer Ordnung, die Ablehnung duldet? Insofern ist die Theorie der übersteigerten Obrigkeitshörigkeit als Grund des vermehrten Meckerbedürfnisses als Ventil und “Recht” des “kleinen” Mannes nachvollziehbar.

Meckern hilft, wetten?

Wenn wir vom Meckern, Nörgeln, Jammern, Nölen oder Klagen sprechen – wir reden immer über eine Emotion. Und diese Emotion zu zeigen, kann verschiedene Gründe oder Motivationen haben.

Da ist beispielsweise die Unmutsäußerung als gleichzeitige Aufforderung an andere, etwas zu ändern: “Das ist hier total kalt, und es zieht.” Ein finsterer Blick zum am Fenster sitzenden Jungen. Der schnippt hoch und macht das Fenster zu.

Manchmal ist das Meckern aber unkonkreter und appelliert nur, sich für einen zu interessieren. Typisches Praxisgespräch: “Hach, ja, die Kinder sind ja auch aus dem Haus, und die Enkel sind nie da. Ich bin ja immer hier, bin sehr zufrieden mit dem Doktor, aber Zeit hat der auch nie. Aber Zeit hat ja keiner mehr von den jungen Leuten.” Man selbst sitzt da, will lesen oder daddeln, aber nun muss man irgendetwas allgemein Verbindliches sagen und hoffen, bald dran zu sein. Denn hier geht es nicht darum, sich konkret mit Hilfe, Rat und Tat der kritisierten Sache zuzuwenden, sondern eher der emotionalen Bedürftigkeit des Meckerers eine Bühne zu sein.

Eine sehr extreme Seite des Meckerns ist das über das Schimpfen hinausgehende Fluchen. Manchmal kann uns der Unmut so stark bewegen, dass wir ohne Gegenüber zu meckern anfangen, was sich in Flüchen oder lautem Schimpfen zeigt. Diese Extreme zeigen etwas Interessantes: Unmut zu äußern, kann Spannung abbauen, und wenn es durch Verbalinjurien geschieht.

Ein großes Gebiet der Meckerei ist das Solidaritätsgemeckere. Dieses Phänomen zeigt sich gerne beim beliebten Thema “Wetter”: Der Bus ist voll. Ein Fahrgast steigt zu und setzt sich auf den noch freien Platz. Neben ihm sagt die ältere Frau: “Puh, heute ist es wieder sehr schwül.”, “Ja, da sagen Sie was, ich schleiche auch nur so rum wie Falschgeld.”, “Morgen soll es ja regnen, Regen brauchen wir so dringend.", "Auf alle Fälle, der Garten ist schon völlig vertrocknet.” Der Bus hält, man verabschiedet sich nett und verständnisvoll. Auch schön ist es, wenn Solidaritätsmeckererei gezielt eingesetzt wird. Man nehme einfach nur eine Situation, die alle gleich nervt, beispielsweise lange Kassenschlangen. Dann spreche man seinen Vordermann mit dem Gemeinplatz an, dass die Kassen wieder sehr voll seien und immer nur eine auf hat. Der Rest wird sich ganz schnell zeigen, man versteht sich sehr schnell mit den anderen.

Wenn Meckern taktisch eingesetzt wird, kann Nötigung das Ziel sein. Diese gezielt eingesetzte Meckerei ist oft sehr effizient und dient dazu, Arbeit, Organisation und auch erheblich viel Geld zu sparen. Diese taktische Meckerei funktioniert durch Delegation unbeliebter Arbeit, Verbindlichkeiten oder Verantwortung: “Ich ziehe nächste Woche um, und alle, die ich gefragt habe, haben abgesagt. Das ist doch furchtbar heutzutage, dass man sich auf niemanden mehr verlassen kann.”, “Ach, sei nicht sauer, ich kann Dir gerne helfen, ich bin um zehn da.”, “Oh, das ist ganz lieb, aber Thomas wollte noch seinen Sprinter mitbringen, die anderen ihre Freunde, das schaffen wir alleine ja gar nicht, und mir geht es auch gar nicht gut.”, “Kein Problem, ich organisiere auch noch zusätzliche Helfer und ein Auto…” Ihr kennt Beispiele im wahren Leben???

Das Problem an den Taktik-Meckerern ist das Abonnement, was man indirekt unterschreibt. Denn nach dem vollzogenen Umzug müssen noch Schränke angeschraubt, die Fahrräder in den Keller geräumt und die Spülmaschine angeschlossen werden. Auch die Zeltausrüstung muss nächstes Jahr überholt, die Reifen gewechselt, das Auto zur Werkstatt und die Kinder von der Schule geholt werden. Nun ratet mal, wer sehr gerne gefragt werden wird?

Fassen wir zusammen, was Meckern (andere Unmutsarten eingeschlossen) bedeuten kann:

  1. Meckern ist Kommunikation mit Aufforderungscharakter.
  2. Meckern ist Kommunikation mit Appellcharakter.
  3. Meckern ist Kommunikation zum Spannungsabbau.
  4. Meckern ist Kommunikation mit Solidaritätscharakter.
  5. Meckern ist Kommunikation mit Verpflichtungscharakter.

Betrachten wir die 5 verschiedenen Mecker-Motivationen, dann sehen wir auch, dass das Meckern nicht die gleiche Intensität hat und demzufolge nicht die gleiche Energie kostet. Im Gegenteil, sie kann sogar mit Solidaritätscharakter eine Energietankstelle sein.

Die 5 Meckervarianten am Beispiel:

  • “Es ist kalt, und ich friere. Es zieht wie Hechtsuppe.”
  • “Kälte ist für mich nichts, mich fröstelt leicht. Zug kann ich auch nicht vertragen.”
  • “Was für eine Scheiß-Kälte, Himmel Arsch und Zwirn.”
  • “Ist das wieder kalt heute. Da muss man ja frieren, und hier zieht es ja auch immer.”
  • “Ich kriege das Zimmer nicht wärmer, ich weiß, dass es kalt ist, die Fenster sind undicht, aber ich verstehe davon leider nichts.”

Meckern und Dauermeckern

Es gibt Menschen, die sich virtuos in allen Bereichen des Meckerns bewegen. Diese zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie auf Dauer Energie saugen und eher wenig zurückgeben. Ihr Gemecker dreht sich meistens um sie selbst. Missstände betreffen ihre Komforteinbußen, die man selbst nicht hat. Darüberhinaus gibt es Solidaritätsverpflichtungen, die, gibt man sie ihnen nicht, in Kritik und Klatsch über einen selbst mündet. Beispiel:

“Also diese neue Chefin ist ja sowas von doof, total arrogant, also mit der kann man nicht arbeiten.” Entgegnet man nun aber überraschenderweise: "Echt? Findest Du? Also ich finde sie sehr tough und freue mich über den neuen Wind in unserer Firma.”, “Was???? Das kann ich nicht glauben. Du kannst mir gegenüber ruhig ehrlich sein, also die geht gar nicht. Naja, ich muss dann auch los.” Eine Woche später sehen Sie an den Blicken der Kollegen, dass Ihre nicht gemachte Solidaritätsmeckerei dazu führte, dass Sie als übertrieben schmeichlerisch und unterwürfig gelten. Die Loyalität vom Meckerer haben Sie verloren.

Fazit

Vom Gelegenheitsmeckerer zum Dauernörgler ist nur ein kurzer Schritt. Daher sollte man sich selbst fragen, wieviel Zeit man zum Meckern verwendet. Gemeinschaftsnörgeln hat den energetischen Vorteil, dass man sich danach besser fühlt, weil alle derselben Meinung sind und Schuld und Versagen bei anderen liegen. Einmal richtig laut schimpfen und fluchen löst Verspannungen und kann auch bessere Laune nach sich ziehen. Aber taktisches Meckern und appellatives Jammern sollte man bei sich frühzeitig entdecken und abstellen. Denn damit verliert man nicht nur Freunde, sondern “meckert” sich in eine Unzufriedenheit hinein, aus der man nur noch schwer wieder herauskommt. Denn ist man der Meinung, dass immer andere “schuld” sind, raubt man sich die Möglichkeit, etwas zu ändern. Daher ist es ratsam, bei jedem Meckern auch ein wenig gutwillige Ironie über sich selbst beizumischen. Denn zusammen meckern, jammern und nörgeln, ergänzt um die Einsicht einer gemeinsam erlangten Zufriedenheit und bereichert um ein erlösendes Lachen darüber, kann manchmal Wunder wirken.


Bitte beachtet auch meine Schwerpunktseite: www.musikerberatung-frieling.de.

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