Interview mit Tim A., Transmann und Pflegefachkraft

Neulich hatte ich die Gelegenheit, mit Tim zu sprechen. Er ist 27 Jahre jung und hat in seinem Leben schon so manches erlebt, was ich mir nicht vorstellen kann. Er wurde in einem falschen Körper geboren und bezeichnet sich heute als Transmann. Ich erlebte ihn als charmanten und sehr lebenslustigen Menschen, der sich gerne meinen Fragen stellte. Aber sein Leben war nicht immer so einfach, wie es heute scheint. Transgender zu sein, ist auch heute noch ein wirklich schmerzhafter und dorniger Weg. Aber lest selbst.

Lieber Tim, ganz zum Anfang: Wie bezeichnest Du Dich selbst?

Als Transmann

Du bist also als Frau geboren?

Biologisch, ja. Aber ich erkläre es immer so, mein Hirn ist männlich. Und leider bin ich nicht schon mit einem männlichen Körper auf die Welt gekommen, sondern ich musste mir das alles erarbeiten.

Was möchtest Du in diesem Interview den Lesern sagen? Warum ist es Dir wichtig, heute mit mir über Transgender zu sprechen?

Einfach, damit es nicht mehr so als Abnormität betrachtet wird. Viele Menschen meinen ja, das sei ja jetzt modern, trans zu sein. Aber das ist Unsinn. Seitdem es Menschen gibt, gibt es Transmenschen, aber erst seit kurzem gibt es die Möglichkeit, das auch leben zu dürfen. Ich bin mit einer Transfrau befreundet, die es vor zwanzig Jahren noch sehr schwer hatte, als Frau akzeptiert zu werden. Da hat sich deutlich gebessert.

Beginnen wir mit Deiner Kindheit. Du bist als Frau geboren, was die dimorphen Geschlechtsmerkmale betrifft. Wann hast Du gemerkt, dass Deine Geschlechtsidentität im Kopf eine andere als diese ist?

Das Problem ist, dass ich wusste, dass bei mir etwas schief läuft, aber mir lange nicht klar war, was. Ich komme aus einem sehr ländlichen Gebiet, und ich kannte in meiner Umgebung nicht einmal jemanden, der schwul war. Ich hatte gar keinen Bezug zu diesem Thema, da ich überhaupt nicht wusste, dass es existiert. Und in der Pubertät, als sich mein Körper in eine Richtung entwickelte, die ich überhaupt nicht wollte, ja, die ich vehement ablehnte, wurde es besonders schlimm. Mir sind “Sachen gewachsen”, die ich als nicht richtig empfand.

Thema Schminken…

…Ja, das war auch so eine Sache. Meine Mutter fragte mich, ob ich das denn nicht auch machen wollte und zeigte mir auch, wie das ging. Ich fand es total falsch. Aber weil ich bei meinen Freunden und in der Schule nicht abgelehnt werden wollte, machte ich mit.

Und wurdest Du zu diesem Zeitpunkt gemobbt oder gehänselt?

Also von meinem Transsein mal abgesehen, war ich schon immer recht eigenwillig. Ich war von meinen Hobbys sehr anders, da ich mich nicht als Mädchen fühlte, nein, anders gesagt, da ich kein Mädchen war. Ich habe auch die typischen Mädchensachen nicht gemacht: Ich mochte keine Puppen, kein Glitzer, kein Rosa, kein Tüll, kein Garnichts, was in diese Richtung ging. Ich wollte keine Kleider anziehen, und entsprechend habe ich nur Jungsklamotten getragen…

…also eigentlich fast schon Klischee-Mann?

(lacht) Ja, auf alle Fälle. Ich erinnere mich, dass ich bei dem typischen Kinderspiel Vater-Mutter-Kind immer der Vater, vielleicht auch das Kind, aber nie die Mutter sein wollte. Das habe ich gar nicht hinterfragt, das war jenseits meiner Vorstellung, eine Mutter sein zu wollen. Das passte gar nicht.

Und in der Schule?

Da hatte ich dann Probleme, Freunde zu finden, denn die Mädchen konnten mich nicht einordnen, denn ich war ja nicht so wie sie. Aber die Jungs fanden mich auch seltsam, da ich ja nicht so aussah wie sie. Da war ich immer in dieser Zwischenwelt gefangen. So hatte ich das Problem, überhaupt ein soziales Netz aufzubauen.

Gab es Jungs, die sich in dich verknallten?

Ja, doch, gab es, aber ich habe sehr spät angefangen, zu daten. Mit 17 Jahren erst. Vorher war das in meiner Welt gar nicht existent. Ich glaube, dass es schwierig ist zu verstehen, dass jemand einen mag oder gar verliebt ist, wenn man sich selber total falsch fühlt.

Du hast Dich also nicht gemocht?

Nicht gemocht, ist noch viel zu wenig, ich habe mich wirklich gehasst. Also das, was ich im Spiegel gesehen habe, habe ich gehasst.

Und hat das Deine Umwelt bemerkt?

Jein, also ich habe alles versucht, es zu verstecken. Das habe ich alleine mit mir ausgemacht. Ich war vielleicht etwas seltsam, aber das Thema Transgender gab es nicht.

Thema Pubertät, Thema Sportunterricht, Thema Schwimmen…

…Ja, natürlich. Ich wollte mich nie vor den Mädchen ausziehen, weil ich mich schämte. Alle fanden es völlig normal, sich vor allen anderen auszuziehen, sich zu duschen und sich umzuziehen.

Obwohl du ja äußerlich so aussahst…

…Ja, aber eben nicht innerlich.

Also die Scham war männlich, wenn man das so sagen kann?

Ja, genau, und ich hatte Glück, da gab es immer so einen kleinen Extraraum, wo ich mich umziehen konnte. Das fand man natürlich seltsam, aber es wurde akzeptiert. Und beim Sport habe ich auch immer nicht verstanden, warum ich bei den Mädchen Sport machen sollte und nicht bei den Jungs. Für mich war es sowieso unklar, warum man Geschlechter beim Sport trennt. Bei den Jungs habe ich mich wohler gefühlt. Aber warum, wusste ich nicht. Auch beim Thema Schwimmen: Warum sollte ich als Mann einen Bikini tragen? Ist ja voll peinlich.

Und wer machte Dich darauf aufmerksam, dass Du anders bist?

Auf dem Weg zu meiner ersten Leipziger Buchmesse lernte ich eine Frau, ein spätere gute Freundin, kennen. Über sie, die pansexuell ist (das Geschlecht des Gegenübers ist nicht ausschlaggebend dafür, dass man sich verlieben kann), kam ich zum CSD (Christopher Streed Day) und lernte viele Menschen kennen, die trans waren.

Nun ist das ja ein großer Schritt: Dorf Bayern – Leipziger Buchmesse – CSD Berlin

Ja, das stimmt. Ich bin gleich nach dem Abitur nach N. gezogen und habe dort eine Ausbildung zum Krankenpfleger gemacht. Und dort habe ich Freunde gefunden, die mit mir zur Leipziger Buchmesse fuhren. Und so kam eins zum anderen.

Und wann hast Du Dich zu einem Coming Out entschieden?

Das war tatsächlich erst viel später. So lange ist das gar nicht her, aber es hat sich seitdem so viel getan, und es hat sich so viel geändert, dass es mir wiederum als sehr weit weg erscheint. Auf dem CSD in Berlin war ich noch der Annahme, eine heterosexuelle Frau zu sein. Alles andere existierte ja für mich bis dato nicht. Ich hasste mich, wie ich war, und ich fühlte mich falsch und schlecht. Aber ich dachte, es gäbe keine andere Möglichkeit, als das zu überwinden. Ich muss damit leben, es gibt keinen Ausweg, das zu ändern. Und dann sah ich andere Transmenschen und sprach mit ihnen.

Das war wahrscheinlich der Initialzünder für viele Überlegungen und Recherchen?

Absolut, das war wie eine Tür in ein völlig andere Wirklichkeit. Ich habe Dokumentationen gefunden, habe mit Transmännern geredet etc. Lange Rede, kurzer Sinn: Bei mir ist plötzlich der Groschen gefallen, ich bin ein Transmann.

Wie ist das, wenn man merkt, dass das, was die da im Netz sagen, einen selbst betrifft?

Ja, krass. Alle die Probleme, die die hatten, waren meine. Sie waren identisch. Bisher gab es keinen, der solche Probleme hatte, jetzt ganz viele. Ich fühlte mich plötzlich verstanden. Das sind meine Problem, krass.

War das eher erlösend oder beschämend?

Eindeutig erlösend. Geschämt habe ich mich gar nicht. Die liberale Ansicht hatte ich schon von meinem Elternhaus mitbekommen, also Rollenklischees musste ich nie erfüllen.

Schwein gehabt…

…(lacht) Aber sowas von. Ich hatte solches Glück mit meinen Eltern, auf so viel Verständnis zu stoßen, auch bei meinem Coming Out.

Was geschah, als Du plötzlich nicht er alleine warst?

Als ich erkannt habe, was mein Problem ist, wurde mir klar, welchen Weg ich gehen muss. Und noch eines wurde mir schlagartig klar. Es gibt nur diesen einen Weg zum Mann in aller Konsequenz, ansonsten gibt es keinen Weg mehr.

Eine bestimmt extrem belastende Zeit.

Es war schlimm. Ich habe viel geweint, mich zurückgezogen, ich war einfach nicht glücklich, nein, das ist zu schwach, ich war existenziell unglücklich. Ich hatte eine schwere Depression. Ich wusste, dass ich wie bisher nicht mehr leben wollte, nein, nicht mehr leben konnte.

Wie ging es weiter?

Also ich dachte mir, okay, wenn Outing, dann kurz und schmerzlos, und alle Outings in kurzer Zeit, damit ich nicht immer wieder dieselben Fragen, erstaunten Blicke und befangene Stille aushalten muss. So habe ich mich bei meinen Freunden zuerst geoutet, das war gar kein Problem, denn ich hatte unter ihnen einige queere Menschen. Die erste Frage war eigentlich nur: “Wie sollen wir dich denn jetzt nennen?”

Und wie hießest du eigentlich vorher?

Das möchte ich nicht sagen. Denn das hat mit einer Zeit zu tun, in der es mir nicht gut ging. Es ist ein Leben, woran ich nicht gerne zurückdenke, denn ich war sehr unglücklich und traurig. Für mich ist diese “sie” gestorben.

Aber nun, wie sag’ ich’s der Familie?

Genau, das war der nächste Schritt. Aber das war eigentlich einfach. Ich hatte meine Eltern in ihrem Dorf besucht. Wir sahen abends fern. Die Beiden auf der Couch, ich auf dem Sessel. Und dann habe ich gesagt, dass ich über etwas Wichtiges reden müsse. Meine Mutter hat sich sofort zu mir gewandt, mein Vater noch nicht direkt. Und dann sagte ich ihnen, dass es mir nicht gut ginge. Dass es mir schon seit sehr langem nicht gut ginge. Und dann habe ich ihnen erzählt, dass ich mich selber nicht mag, nein, dass ich mich hasse. Dass ich mich nicht ansehen mag und ich mich früher vorm Spiegel geschlagen habe, weil ich meinen Körper als so abnorm empfand. Meine Mutter war total erschüttert, weil sie es nicht gewusst hat, dass es mir so schlecht ging und sie nicht für mich dar war. Das Outing war nicht das Problem, sondern, dass es mir schlecht ging. Mein Vater hat etwas gebraucht, es zu verarbeiten. Aber sowohl meine Eltern als auch meine Schwester haben sehr wertschätzend auf mein Outing reagiert. Das war wirklich toll und eine sehr wichtige Hilfe.

Also ging nur noch darum, wie sie Dir helfen können?

Genau. Und danach outete ich mich in der Berufsschule. Ich habe einen langen Text in unsere Schülergruppe geschrieben und alles erklärt. Und siehe da, auch dort schlugen mir keine negativen Worte oder Ablehnung entgegen. Außer meine Klassenlehrerin, die sich etwas sperrte und meinen neuen Namen aus juristischen Gründen ablehnte, gab es eigentlich keine Probleme. Das war eine riesige Erleichterung.

Das glaube ich Dir sofort. Und hatte sich nun der neue Status auch auf Deine Beziehungen ausgewirkt?

Ja, schon, also erst hatte ich Beziehungen zu Männern, dann zu Frauen, weil ich natürlich dachte, ein heterosexueller Mann zu sein. Aber das war falsch.

Das ist interessant, nur weil Du ein Transmann bist, bist Du deswegen nicht sofort ein liberaler und freier Mensch. Du warst in den gleichen Klischees gefangen wie “normale” Heterosexuelle, kann man das so sagen?

Auf alle Fälle (lacht). Ich war vorher immer nur in Männer verliebt, aber nach dem Outing dachte ich, dass ich jetzt Frauen daten müsse. Ich habe es dreimal probiert, die waren auch alle unterschiedlich, sowohl vom Aussehen als auch vom Charakter, aber nichts. Sexuelle Anziehung gleich Null.

Okay, das hat also nicht funktioniert.

Ne, also wusste ich, ich bin schwul. Mit dem Transmann bin ich eh schon komisch, ob ich dann noch schwul bin, ist dann auch egal (lacht).

Aber das hat dann funktioniert?

Ja, absolut

Zum Schluss noch ein allgemeines und uns alle betreffendes Thema. Wie soll die Sprache darauf Bezug nehmen?

Also ich halte es so, wenn ich jemanden Neues kennenlerne und mir weder durch Pronomina noch Namen genau klar ist, wie er/sie/es sich bezeichnen lassen will, frage ich einfach. Worte sind für mich wandelbar. Und die Sprache muss sich dem heutigen Gegebenheiten anpassen. Nicht der Mensch muss sich der Sprache anpassen, sondern die Sprache dem Menschen. Erst dadurch bleibt sie lebendig. Und ich finde die aktuellen Lösungsideen, beispielsweise die mit dem Doppelpunkt, weit davon entfernt, ideal zu sein, aber sie zeigen ein Problembewusstsein, welches Bewegung in der Sprache auslösen kann und auch wird. Mich persönlich betrifft es natürlich nicht, da ich mich ausschließlichen als Mann sehe. Männliche Pronomina und Berufsbezeichnungen sind daher für mich absolut passend. Ich versuche aber im Alltag, geschlechtsspezifische Anreden oder Berufsbezeichnungen zu vermeiden. Ich selbst bezeichne mich innerhalb von Korrespondenzen als Pflegefachkraft und nicht als Pfleger. Bei nicht binären Personen sind Pronomina eh schwierig. Und mit ein wenig Empathie für andere Menschen sollte es in der Regel gelingen, die richtige Anrede zu treffen. Mein Tipp: Wenn man unsicher ist, lieber nachfragen als irgendwas schlau selber behaupten.

Hast Du das selbst erlebt?

Ja, Das kann unter Umständen sehr verletzend sein. In einem Bekleidungsgeschäft unterhielten sich zwei Verkäufer:Innen. Und ein/e sagte: “Kannst Du mal der Frau dort drüben helfen?” Und sie meinte mich. Und das war sehr verletzend und furchtbar. Das war wie ein Schlag ins Gesicht. Also nicht vom Verkaufspersonal, die oder der konnte gar nichts dafür, aber eben für mich. Ich war ja schon geoutet, war männlich gekleidet und habe auch stets versucht, mit klischierten Stereotypen männlich zu wirken. Und trotzdem wurde mir diese “Frau” einfach aufgestempelt, ob ich wollte oder nicht.

Was ist Deine Bitte an unsere Leser? Wo müssen wir, die es nicht betrifft, mehr aufpassen, achtgeben und sensibler werden?

Ich erlebe immer wieder, gerade bei gewissen Operationen, die man nicht hatte, dass dann die Frage kam, wann hast du dich umoperieren / umgestalten lassen? Also diese Wortungeheuer sind wirklich verletzend, was ich dann auch sage. Viele fragen ganz erschrocken, wie sie sonst fragen sollen, und das ist voll ok. Aber manche reagieren aggressiv und beleidigt, als wenn meine Bitte ein persönlicher Angriff auf sie wäre. Das ist dann schwierig. In vielem erlebe ich den Menschen heute viel offener, aber eben auch egoistischer. Und da möchte ich appellieren, mehr aufeinander zuzugehen und zuzuhören, als mit seiner Meinung, und sei sie auch noch so liberal, hausieren zu gehen.

Manchmal ist das Fragen besser als das vermeintliche Wissen.

Ich danke ganz herzlich für das Gespräch.



Bitte beachten Sie auch meine Schwerpunktseite: www.musikerberatung-frieling.de.

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