Interview mit einer Betroffenen / Burnout mit 28

Juliane W., Hotelfachfrau, Burnout mit 28 Jahren

Woran hast du gemerkt, dass du einen Burnout hast?

Ich habe es selbst gar nicht bemerkt, dass ich einen Burnout habe. Man merkt es selber nicht. Und als ich dann in der Klinik saß und die Neurologie mich komplett durchgecheckt hat und weder für die Kopfschmerzen noch für meine halbseitige Blindheit und Taubheit körperliche Ursachen fanden, kam die Psychologin. Sie sprach zehn Minuten mit mir und sagte dann: “Was würden Sie machen, wenn ich ihnen jetzt sage, sie brauchen eine Auszeit?” Das war kurz vor Weihnachten. Und das erste, was ich ihr sofort antwortete war: “Sind sie wahnsinnig? Wir stehen kurz vor Weihnachten, ich kann jetzt nicht krank machen. Wir brauchen jede helfende Hand, die nötig ist.” Sie blieb ruhig, sah mich an und entschied: “Sie haben einen Burnout und bleiben jetzt zu Hause.”

Warst du in den Wochen davor müde und schlapp, so dass du früh nicht aus dem Bett kamst?

Das kriegst du tatsächlich mit. Ich bin abend nach Hause gekommen, habe mein Bier getrunken, bin ins Bett gegangen und habe geheult. Irgendwann schlief ich dann. Dann bin ich wieder aufgestanden, habe geheult, weil ich auf Arbeit musste, und das wiederholte sich täglich.

Hast du mehr getrunken oder geraucht in dieser Zeit?

Nö, das eigentlich nicht. Gott sei Dank. Ach so, doch, mein Schmerzmittelkonsum hatte sich unglaublich erhöht, ich hatte ja permanent Migräne.

Warst du gereizter als sonst, haben dich die Arbeitskollegen mehr genervt als normal?

Absolut, schon die kleinsten Sachen haben mich genervt. Und ich war nahe am Wasser gebaut. Schon bei den kleinsten Sachen habe ich angefangen zu heulen, beispielsweise reichte es da schon, wenn mein Stift runtergefallen war.

Und trotzdem kann man wahrscheinlich sagen, dass die Psychologin dich rechtzeitig rausgezogen hat, bevor du reaktionsunfähig, apathisch wurdest und schlimmeres hätte passieren können. Kann man das so sagen?

Ja absolut. Meine Psychologin hat zu mir gesagt, es sei ein stiller Burnout gewesen. Ich habe den Breakpoint, den man beim Burnout ja irgendwann mal erreicht, wo eben nichts mehr geht, den habe ich dreimal überschritten. Das dritte Mal war, wo ich in die Klinik ging, um mir Schmerzmittel geben zu lassen, die nicht nur gegen meine Kopfschmerzen, sondern auch gegen die anderen Ausfallerscheinungen helfen. Und da haben sie mich dann da behalten. Bei den ersten beiden Malen ging es immer nur um meine Migräne. Da war ich nur kurz krankgeschrieben. Das zweite Mal hat mein Körper die Symptome verstärkt und hat zur Migräne noch eine Aura hinzugefügt, wo ich auf der linken Seite komplett schwarz-weiß gesehen habe, und die Migräne hatte ich dann täglich. Und der Tag x im November 2018 war so, dass ich aufgestanden bin, natürlich Migräne hatte, schwarz-weiß sah, aber plötzlich hörte ich auch nichts mehr. Ich nahm meine Kopfhörer ab, um zu kontrollieren, ob ein Stecker kaputt sei, da bekam ich mit, dass ich auf einem Ohr nichts mehr hörte. Dazu gesellten sich noch Gleichgewichtsprobleme, so dass ich von einer Kollegin nach Hause gebracht werden musste.

Wie war das, als du zu Hause warst? Mit diesen Symptomen. Hattest du denn keine Angst?

Doch, natürlich und zwar wie. Ich bin sofort in die Klinik, 5 Tage Neurologie, dann hatte ich das Gespräch mit der Psychologin: “Sie haben zwei Möglichkeiten: Sie bleiben hier und gehen in die psychosomatische Abteilung, und wir versuchen gemeinsam eine Lösung zu finden. Oder sie gehen nach Hause und machen 6 Wochen nur das, was sie wollen. Und dann sehen wir uns in einem halben Jahr wieder auf der Intensivstation, weil sie vor ein Auto gelaufen sind.” Das war eine ziemlich klare Ansage. Und erst in dem Moment habe ich wirklich realisiert, ich brauche Hilfe.

Wie ging es dann weiter?

Ich war nur wenige Tage oben, dann zwei Wochen zu Hause. Und dann ging es neun Wochen in die Klinik, Tagesklinik. Insgesamt war ich 18 Wochen raus aus dem Alltag.

Wie ist das jetzt im Nachhinein, wenn du zurückschaust? Wie fühlt sich das an?

Es war die die beste Entscheidung meines Lebens, wirklich reinzugehen und zu sagen, ich mache was dagegen. Und ich bin sowohl dankbar für die vielen Ärzte und Kollegen als auch stolz auf mich.

Was hast du denn dagegen gemacht, also für dich gemacht?

Der große Vorteil war, das ich nahtlos einen Platz in der Psychosomatik bekam. Die oft zermürbenden Wartezeiten und dadurch fast vorprogrammierten Rückfälle kamen bei mir dankenswerterweise nicht vor. Eine Woche nach meinem Neurologie-Aufenthalt stand das fest, und wieder eine Woche später kam der Anruf, dass ich ab dem 4. Dezember 2018 in der Klinik einen Platz bekommen habe.

Was wurde in den neun Wochen Tagesklinik gemacht?

Also ich hatte natürlich viele Einzelgespräche mit Psychologen, aber auch Gruppentherapie. Und dann gab es Kursangebote, die ich wahrnehmen konnte: Schmerztherapie, Sporttherapie, Ergotherapie, also alles, was es so gibt.

Was habt ihr in der Schmerztherapie gemacht?

Im Prinzip ging es darum, die Schmerzherkunft zu ergründen, also Biofeedback, was triggert einen, was reizt einen, was beruhigt einen. Und als zweites haben wir Entspannungsübungen erlernt. AT (Autogenes Training) und PMR (Progressive Muskelrelaxation).

Machst du die heute noch?

Ja, meistens vor dem Einschlafen. Mittlerweile kann ich das so gut, dass es sehr schnell funktioniert.

Nochmal zur Klinik, wie ging es los?

Für mich war ganz wichtig, ich bin hier an einem sicheren Ort und habe Hilfe, wenn ich sie brauche, das war für mich essentiell. Ich bin von 110% auf 0% runtergebremst worden. Die ersten paar Tage hat man mich komplett in Ruhe gelassen, da durfte ich tun und lassen, was ich wollte. Da gab es nur die typischen Behandlungen, also ob ich nicht simulierte und so. Und dann wurde ich wieder durchgecheckt und alle Vitalparameter gemessen. Erst nach diesen drei Tagen begannen die eigentlichen Therapien.

Was würdest du jemandem raten, der sehr viel arbeitet. Oder siehst du es, wenn es kritisch wird?

Ich habe gerade das bei meiner Schwester erlebt, wo ich eindeutig mitkriegte, wie sie zielstrebig darauf zusteuert. Sie saß im Auto und heulte, obwohl sie ihren Beruf liebt, wie bei mir, sie schlief schlecht, hatte körperliche Symptome, alles sehr ähnliche Warnzeichen. Daher kann ich auch allgemein nur raten, wenn man merkt, dass alles irgendwie zu viel wird, dass man nicht mehr will, kann und möchte, dann sollte man unbedingt sofort zum Arzt gehen. Und am besten jemand suchen, der psychosomatisch ausgebildet ist, oder gleich zu einem Psychologen. Und das habe ich meiner Schwester auch gesagt. Es ist immer besser, sich eher früher als später professionelle Hilfe zu holen. Manchmal kann es eben auch zu spät sein.

Ich danke ganz herzlich für das Gespräch.

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