Ich bin der Nabel der Welt – die narzisstische Persönlichkeitsakzentuierung

Ich, ich, ich – Erich Fromm bezeichnete mal den Narzissmus als “Krankheit der Chefs”. Ob das vielleicht überspitzt ist? Zumindest scheint es so, dass viele narzisstische Politiker und Führungskräfte, gerade zu Krisenzeiten, Hochkonjunktur haben. Denn sie warten nicht ab, sie eruieren kein Stimmungsbild oder beobachten Tendenzen, nein, sie entscheiden – manchmal visionär, manchmal reaktionär, manchmal totalitär. Aber sie meinen, sie sagen und sie machen. Die Vitalität eines Narzissten kann motivieren und entspannen. Doch sie sind auch diejenigen, die als Führungskräfte über kurz oder lang den Karren in den Dreck ziehen, um es mal sehr salopp auszudrücken.

Was heißt narzisstisch?

Der Begriff Narzissmus geht auf eine Gestalt einer griechischen Sage zurück, auf den Jüngling Narziss. Dieser hatte die Frechheit, eine Verehrerin zu verschmähen, die sich hilfesuchend an Nemesis wandte. Die Schicksalsgöttin rächte die Unglückliche, indem sie Narziss verfluchte, sich nur in sein Spiegelbild zu verlieben. Das geschah, und obwohl er die Täuschung durchschaute, schaffte er es nicht, sich von sich selbst loszureißen und verstarb. Narzissmus bezeichnet daher die überhöhte Selbstliebe. In der Psychologie ist man natürlich sehr verschiedener Ansicht, was das eigentlich ist, wie notwendig ein gewisses Maß an Narzissmus ist und wann und wieviel davon in der persönlichen Biografie auftaucht, bzw. auftauchen muss. Doch summa summarum kann man sagen, dass es sich beim Narzissmus um eine Hybris der eigenen Grandiosität und der andauernden Beschäftigung mit sich selbst handelt. Ob es wirklich die Überhöhung der Selbstliebe oder des Selbstwerts ist, bleibt dagegen fraglich und individuell verschieden.

Wie sie sich zeigt

Narzissten hegen den beständigen Wunsch nach einer sie bewundernden Liebe. Sie wollen, dass man ihnen mit Rücksicht und Bestätigung entgegentritt und sie vollumfänglich unterstützt. Sie halten sich für grandios, wichtig und einzigartig. Sie geben sich unfehlbar in ihren Urteilen und fühlen sich besonders mit Talent und Begabung gesegnet. Ihr gesellschaftlicher, amouröser oder auch monetärer Erfolg halten sie für unbegrenzt. Limitierende Faktoren entstehen allein aufgrund des Versagens anderer Menschen. Sie erwarten von ihrer Umgebung eine bevorzugte Behandlung. Ihre Selbstfokussierung ermöglicht nur selten wirkliche Empathie, eher wirken sie arrogant und ignorant Gefühlen, Wünschen oder Ansprüchen anderer gegenüber. Sie sind schnell verletzbar, wenn sie kritisiert oder zurückgewiesen werden. Erklärmodelle beschäftigen sich ausschließlich mit der Schuld der anderen. Versagen diese Erklärmodelle, oder wird eigenes Unvermögen oder fehlende Unterstützung eingesehen, kommt es zu einer narzisstischen Kränkung, die massive Selbstvorwürfe bis hin zu suizidalen Krisen nach sich ziehen kann.

Wie sie entstehen kann

Oft kann man beobachten, dass Narzissten von ihren Eltern extrem verwöhnt und vergöttert wurden. Sie waren die Prinzessin / Prinzchen und der Mittelpunkt allen Seins. Die Eltern degradierten sich zum Diener des Kindes. Dadurch wurden Frustrationserlebnisse und die Konfrontation mit der Realität möglichst gering gehalten. Die wirkliche Welt entthront permanent das majestätische Kind. Daher sind sie zwar primär verwöhnt, sekundär aber permanent frustriert. Die selbst als narzisstisch einzustufenden und anscheinend unerfüllten Wünsche der Eltern werden dabei auf das Kind übertragen. Auch hier (wie bei der histrionischen Persönlichkeitsakzentuierung) ist die parenterale Gunst an Erwartungen geknüpft, weniger leistungsorientiert als vielmehr ambitioniert, nämlich die Dankbarkeit, verwöhnt zu werden.

Ein psychodynamisches Beispiel

Endlich wird nach drei Mädchen ein kleiner Sohn geboren. Der kleine Prinz grinst feist und bekommt alle Aufmerksamkeit der Eltern. In der Schule stellt sich heraus, dass er nicht der Überflieger ist, der er gerne wäre. Auch seine äußerlichen Attribute sind eher unscheinbar. Aber als kleine Majestät hat er einen großen Mund. Und damit sich auch alles so erfüllt, wie er behauptet, wird er durch seine Eltern unterstützt. Die Schwestern müssen sich seinen Anweisungen unterordnen. Kleinste Versuche der Autonomisierung petzt er seinen Eltern. Er ist unfähig, symmetrische Beziehungen einzugehen. Auch in seinem späteren Berufsleben braucht er immer Menschen, die ihm dienen und ihm den Erfolg verschaffen, den er alleine niemals erreichen könnte. Sein permanentes Selbstlob und die ständig lauernde Angst vor Kritik und Ablehnung kostet ihn viel Mühe, Anstrengung und Lebenskraft.

Ein kleines Psychogramm

Was typisch ist

Frei nach dem Bibelzitat: „Denn viele fühlen sich berufen, aber nur wenige sind auserwählt.“ (Mt 14, 22) leben Narzissten in der Überzeugung, die wirklich Auserwählten zu sein. Sie halten sich für unersetzlich, sind egozentrisch, selbstherrlich, rechthaberisch und überaus empfindlich gegenüber Kritik, Nichtbeachtung oder Ablehnung.

Was sie wollen

Sie möchten um ihrer selbst Willen geliebt, verehrt und uneingeschränkt bewundert werden. Sie möchten, dass man als Gegenüber permanent die Kompetenz lobend erwähnt und sehr deutlich macht, dass man ohne ihn es nicht hinkriegen würde.

Was sie abwehren

Sie wehren damit tiefsitzende Zweifel über sich und Defizite im Selbstwert ab. Frei nach dem Motto: ”Wer angibt, hat’s nötig.” brauchen sie die permanente Bestätigung ihrer Großartigkeit von außen. Eigentlich möchten sie aber um ihrer Selbst willen geliebt werden.

Was ihr Problem ist

Ähnlich wie bei der histrionischen Persönlichkeitsakzentuierung haben sie keine ausreichenden Erfahrungen damit gemacht, wirklich um ihrer Selbst geliebt zu werden. Eine echte Selbstliebe, ein echtes Selbstwertgefühl ist daher nicht entstanden. Ein Bild über sich mit allen Ressourcen (aber auch Grenzen) konnte sich nicht entwickeln. Das Selbstbild ist unscharf, Reflexion wird ängstlich vermieden. Eine Überhöhung der eigenen Grandiosität soll diesen Makel verdecken und äußert sich in vitaler und autonomer Selbstsicherheit. Beziehungen zu Menschen dienen der Selbsterhöhung und Selbstbestärkung. Auch hier findet sich permanent das regressive Bedürfnis nach Liebe, Bewunderung und Bestätigung durch einen Menschen, der unbewusst als höherrangig oder als Autorität anerkannt wird.

Was das mit einem macht

Narzissten spalten oft ihre Umwelt in Bewunderer und Kritiker. Die einen verehren ihre selbstsichere Großartigkeit, andere wiederum verurteilen sie als hohle Prahlerei. Zum einen motivieren und aktivieren sie Menschen, zum anderen nerven sie mit ihrer permanenten Aufmerksamkeitssucht. Dabei wirken sie oft aufgeblasen und lächerlich.

Wo sie besonders verletzbar sind

Da Narzissten ihre eigene Grandiosität und Selbstsicherheit permanent nach außen kommunizieren, sind sie auch anfällig für Versagen, Täuschungen und Selbstüberforderung. Normale Grenzen werden meistens nicht akzeptiert, weswegen sie Zurückweisung, Nichtbeachtung und Verhöhnung extrem tief kränkt.

Fazit: Es ist gut, dass es jemanden gibt, der weiß, wie es geht.

Narzissten trifft man meistens dort, wo es um Macht, Reichtum und Schönheit geht. Das ist in der Politik so, in der Wirtschaft und passiert auf den Prachtboulevards der Welt: “Ich weiß, wie es geht. Ich bin der Größte, der Schönste und der Erfolgreichste unter den Menschen…” Diese Haltung kann dazu führen, Führungspositionen zu bekommen, da Narzissten durch ihren unüberbrückbaren Glauben an sich Sicherheit und positive Kompetenz ausstrahlen. Gerade in unklaren und unsicheren Zeiten ist die kommunikative Kraft narzisstischer Persönlichkeiten ein mentaler Lichtstreif am Horizont.

Und der Unterschied zwischen Histrioniker und Narzissten?

siehe auch: https://www.psychologischeberatung-frieling.de/blogbeitraege-lesen/drama-queen-und-drama-king-die-histrionische-persoenlichkeitsakzentuierung.html 

Einen Histrioniker beschreibt ein Filmzitat aus “Fluch der Karibik” sehr treffend:

"Sie sind ohne Zweifel der schlechteste Pirat, von dem ich je gehört habe." - "Aber ihr habt von mir gehört."

Einem Narzissten wiederum widmet Heinz Erhardt einen schönen Vierzeiler:

Der Snob

Sie reichten Weine mir und Bier
und Schnäpse und dergleichen –
dabei könn’n diese Leute mir
nicht mal das Wasser reichen!

Zum Schluss wollen wir einen der berühmtesten deutschen Narzissten sprechen lassen, denn damit ist alles gesagt:

„Meine Untertanen sollten einfach tun, was ich ihnen sage, aber meine Untertanen wollen selber denken, und daraus entstehen alle Schwierigkeiten (...). Zu Großem sind wir noch bestimmt, und herrlichen Tagen führe ich euch noch entgegen (….). Mein Kurs ist der richtige, und er wird weitergesteuert.“

Na, wer sagte das?


Bitte beachten Sie auch meine Schwerpunktseite: www.musikerberatung-frieling.de.

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