Himmelfahrt oder wie der Mann zum Herren wurde

Jedes Jahr ist es immer wieder schön zu sehen, wenn sich früh am Morgen kleine Grüppchen von Männern treffen, die gemeinsam einen Ausflug machen. An sich keine schlechte Idee, aber spätestens nach zwei, drei Stunden begegnet man den ersten schwankenden und lallenden Gestalten. Aus dem Ausflug wird ein Gelage und aus einer fröhlichen Schar löst sich ein grölendes Paar. Alkohol und Männertag scheinen genauso unmittelbar zusammenzugehören wie Erster Mai und rote Nelken.

Die Religion und die Herrenpartie

Himmelfahrt ist ein hohes christliches Fest 40 Tage nach Ostern und feiert die Aufnahme Christi als Sohn Gottes bei seinem Vater im Himmel. Früher wurde gerne dieser Akt sehr bildlich dargestellt, also ein Jesus, der von einer Wolke nach oben gezogen wird, oder als Raketenmann, der gen Himmel startet und gleich darauf weg ist. Heutzutage ist das theologisch etwas diffiziler und nicht mehr gar so plakativ. Fakt ist, dass die Nazis Himmelfahrt als Feiertag einführten und er seitdem ein freier Donnerstag ist. Ja, das war in der DDR nicht direkt so, aber indirekt wurde er als solcher begangen.

Der Vatertag wiederum, also der Tag, an dem Vaterschaft und Zeugungskraft gewürdigt werden, gibt es natürlich auch. Es gibt einen internationalen Tag der Männer, einen internationalen Männertag und noch andere Vatertagsfeiern. Aber egal, in Deutschland wird Himmelfahrt als Tag des Herren – als Herrentag – als Männertag gefeiert. Und zwar in genau dieser logischen Kette. Sicherlich gibt es immer mehr Väter, die lieber einen Familienausflug als eine Kremserfahrt mit Kollegen unternehmen, aber das Phänomen der alkoholisierten Männer, die unter sich bleiben wollen und weder mit Weib und Kind zu feiern gedenken, besteht weiterhin.

Bier und Bollerwagen

Alois Döring, ein Kulturwissenschaftler, der sich intensiv mit der Entstehung deutscher Festtage beschäftigt, meint: „Die Wurzeln des Vatertagsbrauchs liegen im Mittelalter und sind möglicherweise auf die Flurprozessionen zu Christi Himmelfahrt zurückzuführen“. Das bedeutet, dass man draußen eine bestimmte Wegeslänge zu Fuß und mit großem Kreuz abschritt. Als Belohnung empfing man vom Großbauern oder Großgrundbesitzer zu essen und zu trinken. Hier sind also schon die ersten Versatzstücke einer zünftigen Herrenpartie auszumachen: Wanderung ins Grüne, Wagen für schwere Dinge und festlich geschmückte Männer. Gut, letzteres wurde mehr und mehr neu interpretiert. Da diese Prozessionen den Vorteil hatten, dass man von der Arbeit freigestellt wurde, erfreuten sie sich großer Beliebtheit. Weib und Kinder mussten natürlich zuhause bleiben. Durch die Industrialisierung und dem Wachstum der Städte bekam Freizeit einen neuen Wert. Und was lag da näher, als christliche Feste und damit arbeitsfreie Tage ausgiebig für private Feiern zu nutzen. Und Himmelfahrt eignet sich natürlich ganz hervorragend, da sowohl die Jahreszeit geeignet ist als auch der Tag ein verlängertes Wochenende ermöglicht.

Und wie so vieles kommt auch der Klassiker der Herrenpartie aus Berlin, da hier für die vielen Männer, die gemeinsam ins Jrüne wollten, eine geeignete Fahrgelegenheit geboten werden musste. Der findige Fuhrunternehmer Simon Kremser machte also an diesem Tage nicht frei, sondern organisierte lustige Herrenpartien mit Bier und Pferdewagen. Bis heute hat sich der Name Kremserfahrt erhalten.

Gemeinschaft und Alkohol

Wichtigster Unterschied zu den sonstigen Festtagen, an denen getrunken und gefeiert wird, ist der Gemeinschaftsgedanke, der ausschließlich Männer betrifft. Man wählt bewusst einen kleinen Ausflug, um vom “Alltag der Familie” zu fliehen. Man verkleidet sich, um “das Gewöhnliche” abzustreifen und man “betrinkt” sich, um die schnöde Realität zu verklären. Insgesamt handelt es sich also um eine Kunstform: Verkleidung, Dramaturgie, Bewusstseinserweiterung. Und etwas kommt noch hinzu. Gerade Jugendliche greifen diese Idee gerne auf und werden oft im Kreise der Dickbäuchigen willkommen geheißen. So ähneln Vatertagstouren oft auch Initiationsriten anderer Völker. Gerade heutzutage, wo Sexismus, Intoleranz, Vorurteile gegenüber queeren Menschen verpönt und Political Correctness das Gebot der Stunde ist, scheint der archaische Reiz des total Überholten und total Peinlichen größer denn je. Klar gibt es genügend Kritik, die Unfallzahlen sprechen eine deutliche Sprache, und Schlägereien und Alkoholdelirien sind keine Einzelfälle, aber die Idee, aus dem Korsett des Gutmenschen auszubrechen und die “Sau rauszulassen” und mit Kumpels einfach mal “einen netten Tag haben zu wollen”, klingt verführerisch. Aber das funktioniert eben nur in Gemeinschaft, und zwar nicht nur deswegen, weil man zusammen lustiger und fröhlicher ist, sondern weil eine Gemeinschaft auch den Schutz vor Lächerlichkeit und Brüskierung bietet. Allein mit einer Bierflasche und einem Knotenstock sieht man eher verkommen als verwegen aus, zu viert wird es schon besser und ab zu sechst flößt man eher Furcht als Mitleid ein.

Fazit

Es muss ja nicht immer Psychologie sein, gerade heute geht es ja um sich selbst feiernde Männer. Aber das Phänomen “Männertag” ist so absurd, aber auch so verständlich, dass es sich einmal lohnt, näher hinzusehen. Gerade diese Männergruppen, die die vermeintliche Tradition hochhalten und bunt geschmückt durch die Straßen auf die Felder und Wälder ausschwärmen, klammern sich aneinander, um “frei” zu sein von den Beschränkungen und Verantwortlichkeiten des Alltags. Und das ist dann schon sehr regressiv, wenn zum Gemeinschaftserlebnis auch der Trotzgedanke kommt: “Ihr könnt mich alle mal, ich geh jetzt mit meinen Kumpels saufen.” Aber als kleiner Appell an alle ach so Korrekten, spätestens am nächsten Morgen ist der Wunsch, es nicht gemacht zu haben größer als die Lust der Wiederholung.


Bitte beachtet auch meine Schwerpunktseite: www.musikerberatung-frieling.de.

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