Freiheit ist eine Kopfsache

Wir kennen alle Situationen, an denen man vor anderen zeigen soll, dass man etwas kann. Besonders beliebt sind Prüfungen. Und wir alle kennen das Gefühl, kurz bevor die Prüfung beginnt, das flaue Gefühl im Magen, die schweißnassen Hände und die anderen unterdrückten Fluchtreflexe und natürlich all die vielen Gedanken, die wie Kohlensäurebläschen in einem Sektkelch aufsteigen. Plopp. Plopp. Plopp. Und was die alles sagen, was die alle vermeintlich wissen, das verunsichert und dreht sich im Kreis. Und sie fangen an, uns zu hemmen und zu verunsichern.

Das Klassenvorspiel von Josephine

Ich denke da an eine Studentin, die zum Klassenvorspiel geht. Die Etüde läuft so la la, das Konzert gibt es auch in schöner, aber die Sonate, o ha, mal sehen, was das wird. Je näher sie der Hochschule kommt, desto mehr Gedanken steigen auf, die laut zu ihr sagen: “Josephine, das wird nichts, das kannst du nicht, du wirst dich blamieren, den ersten Satz wirst du nicht überstehen, und überhaupt, warum gehst du dahin.” Und Josephine geht diesem Gedanken nach und glaubt den Inhalt. ‘Stimmt, sie kann das eigentlich nicht und stimmt, sie wird sich dadurch blamieren. Warum ist sie hergekommen?’ Endlich ist es soweit, sie wird auf die Bühne gebeten, stellt sich hin, der erste Ton erklingt. Und plötzlich hört sie ihn von außen, zittrig, unsicher. “Siehste, ich sage dir doch, das wird nichts.” Aufgelöst spielt sie mit Ach und Krach zu Ende. Sie weint. Das Vorspiel war ein Desaster. Doch was war passiert?

Gedanken sind eine Tatsache

Unangenehme Gedanken machen das Gefühl, nur wenig oder gar nichts ausrichten zu können. Je stärker diese sind, also unangenehmer, mahnender, drückender oder meckernder, desto schlimmer wird es. Sie werden omnipotent und scheinen fast chorartig ein Urteil zu sprechen. Man möchte meinen, dass negative Gedanken umso mehr gehört und geglaubt werden, je stärker sie sind. Doch wie verhält es sich eigentlich in uns? Muss ich wirklich glauben, was ich denke?

Gedanken wie: “Das schaffe ich nicht.”, “Ich bin zu schlecht.”, “Das kriege ich niemals hin.” etc. ploppen auf wie die oben beschriebenen Luftblasen einer Sektflöte. Das ist eine Tatsache, die bei dem einen stärker, bei dem anderen schwächer ausgeprägt ist.

Gedanken sind eine Tatsache, so wie der Tod ein Tatsache ist und unsere Eltern eine Tatsache sind. Ein biologische Tatsache, ein physisches Phänomen. Das soll heißen: Gedanken ploppen immer wieder auf, jeden Tag, Stunde oder Minute. Immer wieder kommen sie aus der Ferne und verschwinden wieder in ihr. Und natürlich hat jeder Gedanke seine tiefenpsychologische Konnotation, aber die Tatsache, dass sie aufsteigen und dass sie immer wieder unkontrolliert kommen und gehen, ist unumstößlich.

Gedanken sind nicht kontrollierbar

Wir sollten uns dieser Tatsache bewusst werden, dass wir Gedanken weder erzeugen noch verhindern können. “Ich denke” könnte richtiger heißen: “Mir kommt ein Gedanke.” Einen Gedanken zu haben ist keine ICH-Leistung, sondern ist ES-gesteuert. Und das kann man ganz einfach testen. Setze dich auf einen Stuhl, schließe die Augen und stelle dir nichts vor. Ja, du hast richtig gelesen, du sollst dir NICHTS vorstellen. Also anders gesagt, denke nichts, schalte alle Gedanken ab… Und? Hat nicht geklappt, wetten?

Gedanken sind Reize, die uns immer umgeben. Sie geschehen dauerhaft. Wenn es ein angenehmer Reiz ist, folgen wir ihm gerne, aber dem unangenehmen können wir nicht ausweichen. Denn dieser Reiz kommt immer wieder, wird stärker und nervt mit seiner Dauerpräsenz. Das ist immer noch eine Tatsache.

Gedanken sind Angebote

Nun betrachten wir nochmal die Josephine und ihren perseverierenden Gedanken: “Josephine, das wird nichts, das kannst du nicht, du wirst dich blamieren, den ersten Satz wirst du nicht überstehen, und überhaupt, warum gehst du dahin.” Dieser Gedanke ist ein ihr immer wieder unterbreitetes Angebot, welches sie annehmen kann oder nicht. Denn wir als Menschen können uns zu den Gedanken als Tatsache aktiv verhalten. Wir können einem Gedanken folgen, ihm glauben, ihn ablehnen, ihn weiterziehen lassen und mit Missachtung strafen oder aber ihn als neuen Glaubenssatz ausbauen.

Also noch einmal: Wir können nicht die Tatsache beeinflussen, dass Gedanken aufsteigen, aber wir können entscheiden, was sie mit uns machen. 

Victor Frankl sagte einmal: “Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.”

Negative Gedanken sucht man sich also nicht aus, sie sind da, aber ich habe die Macht, mich dazu zu verhalten. Ich kann mich dafür entscheiden, diesem Gedanken zu folgen, also mich bibbernd zu fragen, ob der Gedanke als Behauptung doch Recht hat. Oder ich kann ihn ziehen lassen und den Inhalt als nicht stimmig ablehnen.

Gedanken sind Gäste

Sie kommen und gehen, aber man selbst ist der Hausherr. Insofern genießt man die Wahlmöglichkeit. Man braucht die Gedanken, um sein Gefühlshotel zu beleben, denn ohne Gedanken lebt man nicht. Aber man bestimmt selbst, welche Gäste bleiben und wiederkommen dürfen. Je mehr ich mich auf einen Gedanken fixiere, also ihm willig und glaubend folge, desto mehr vernachlässige ich andere Gedanken, die auch da sind. Und man merkt, dass man durchaus die Verantwortung dafür hat, wieviel Raum ein Gedanke einnehmen und wieviel Einfluss er ausüben kann. Um das alles wahrzunehmen hilft es, wenn man sich auf das direkte Hier und Jetzt konzentriert.

Setze dich hin, schließe die Augen und nimm wahr, was du hörst. Bewerte nicht, sondern höre nur. Versuche nun, das auch mit allen anderen Sinnen zu erleben. Plötzlich wirst du wahrnehmen, was um dich her geschieht, was für andere Gedanken noch aufsteigen und wie multidimensional die prickelnde Sektflöte ist.

Fazit

Josephine kann nicht einfach den Gedanken ablehnen und sich sagen: “Quatsch, ich bin großartig.” Das wäre zu einfach. Aber sie kann daran arbeiten, Gedanken zu betrachten und sich folgende Fragen zu stellen: “Will ich diesen Gedanken glauben? Will ich ihm folgen? Muss ich mir die Aussage gefallen lassen?” Die Tatsache, dass Gedanken kommen und gehen, ist genauso bedeutend wie die Tatsache, dass wir immer eine Entscheidungsmöglichkeit haben. Denn die Freiheit der Verantwortung für uns beginnt im Kopf.


Bitte beachtet auch meine Schwerpunktseite: www.musikerberatung-frieling.de.

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