Drama Queen und Drama King – die histrionische Persönlichkeitsakzentuierung

Veni, vidi, vici – ich kam, ich sah, ich siegte. Leicht abgewandelt kann man auch sagen: man kommt nicht rein, man tritt auf. Wer kennt sie nicht, die “Persönlichkeiten”, die, natürlich zu spät, zu einer Party erscheinen und erst einmal laut und mit übertriebener Gebärde die ganze Welt grüßen. Sie scheinen alle zu kennen und erklären wortreich die “unglaublichste” Geschichte, die sie “jemals erlebt haben”, warum sie “dieses eine Mal” zu spät kommen. Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob Gaius Julius Cäsar auch eine solche Persönlichkeit war, aber eines ist sicher, unscheinbar war auch er nicht.

Was heißt histrionisch?

histrionisch kommt vom lateinischen HistrioSchauspieler, was sehr bezeichnend ist. Früher benutzte man die Bezeichnung hysterisch, welches von Hystericus – Gebärmutter abgeleitet wird. Demzufolge sah man diese Persönlichkeitsakzentuierung als typisch weiblich an, was aber widerlegt ist. Interessant dabei ist, dass heutzutage die histrionische Akzentuierung bei Frauen immer noch mehr akzeptiert wird als bei Männern. Diese entsprechen dann eher dem homosexuellen Stereotyp des “Schwulen” oder der (nicht nur homosexuellen) “Transe”. Bei Männern akzeptiert man mehr die narzisstische Akzentuierung, die bei Frauen eher dem homosexuellen Stereotyp der “Kampflesbe” oder der “Feministin” entspricht. Diese Klischees zeugen demzufolge von einem tradierten Geschlechtsvorbehalt.

Wie sie sich zeigt

Oft sind es attraktive und gepflegte Menschen, die sich dessen nicht nur bewusst sind, sondern diese Äußerlichkeit auch geschickt einsetzen, um andere für niedere Tätigkeiten einzuspannen. Sie glänzen mit großer Theatralik und überdeutlichen Affekten (Gefühle werden stark zum Ausdruck gebracht, da sie aber wechseln, werden diese Gefühle von anderen meistens als oberflächlich betrachtet). Sie sind ständig mit ihrer äußeren Erscheinung und ihrer Wirkung auf andere beschäftigt. Dabei können sie stante pede in verschiedene Rollen schlüpfen. Ihr Repertoire reicht bei Frauen von der Femme fatale über die Nonne bis zum Mauerblümchen, bei Männern analog vom Don Juan über den König zum Nerd. Dabei herrscht hinter dieser aufgesetzten Fassade oft innere Leere und Vertrauenslosigkeit. Die Angst der Nichtbeachtung ist sehr hoch. Oft ist es ihr Wunsch, mit ihrer Attraktivität eine souveräne und stetig liebende Person zu gewinnen, die sie wiederum kontrollieren und beeinflussen können. Rationale und strukturelle Anteile sind gering ausgeprägt, sie inszenieren eher die “rationale Person”, als dass sie selber eine wären.

Wie sie entstehen kann

Ein Wesenszug dieser Akzentuierung ist die Inszenierung von Rollen. Biographisch kann es darauf hindeuten, dass die Eltern das Kind nicht bedingungslos liebten und ihm nicht die notwendige Zuneigung angedeihen ließen, sondern dass gewisse Anforderungen daran gestellt waren. Es musste besonders hübsch, besonders schlau, besonders lustig, besonders talentiert oder anderweitig besonders sein. Diese Bedingung konnte nur mit der Rolle der Hübschesten, der Schlauesten, der Lustigsten oder des Genies erfüllt werden. Die parenterale Gefühlsbindung war abhängig vom erfolgreichen Rollenklischee. Ein anderer Grund kann aber auch eine Patchworkfamilie mit sehr vielen Kindern sein. Um dort Aufmerksamkeit zu erlangen, muss eine gewisse Rolle gespielt werden, um eine nachhaltige Präsenz zu erreichen. Auch hier “kommt man nicht rein”, sondern “tritt auf”. Auch hier “sagt man nicht etwas”, sonder man “deklamiert laut und vernehmlich”, auch hier “tut nicht etwas weh”, sondern “man leidet Höllenqualen”. Die Gründe sind vielfältig, auch sollte man unbedingt die intrinsischen Faktoren wie die individuellen Anlagen berücksichtigen.

Ein psychodynamisches Beispiel

Eine im allgemeinen als attraktiv zu bezeichnende Frau wurde als Kind von ihrem ebenfalls als solchen zu bezeichnenden Vater verhätschelt und bevorzugt. Sie bewunderte ihren Vater, was aber nicht inzestuös (siehe Borderline-Persönlichkeitsstörung) zu verstehen ist. Der gegenseitige Flirt führte dazu, dass die eigene Attraktivität als elementares Beeinflussungserleben wichtiger als erlernbare Kompetenz wurde. Durch ähnliche Konditionierungen in der Schule und der weiteren Umwelt lernte sie, ihre Attraktivität gezielt einzusetzen. Nun wurde es möglich, andere Menschen zu manipulieren und ihre eigene unklare Identität zu verbergen. Mit erwachender Sexualität vermischte sich ihre gespielte Rolle mit der gelebten Realität. Typisch wurde daher eine stete Überbetonung.

Manchmal jedoch entwickelt sich die Persönlichkeit nicht weiter und stagniert in der Pubertät. Statt eines eigenen Ichs werden erfolgreiche Rollen gesucht. Alltägliche Erlebnisse werden emotionalisiert, um dem fehlenden Selbst zu entfliehen. Die “Traumprinzen/Traumprinzessinnen”-Rolle dient dem regressiven Bedürfnis nach Versorgung und Sicherheit.

Ein kleines Psychogramm

Was typisch ist

Histrioniker sind theatralisch, unterhaltsam, verführerisch, unecht (zu laut, zu leise, zu…) und sprunghaft.

Was sie wollen

Ich will, dass du mich faszinierend findest. Ich will der wichtigste Mensch in deinem Leben sein. Ich brauche dich, um mich zu spüren. Gib mir unendliches Vertrauen und versorge mich für immer.

Was sie abwehren

Ich kenne mich nicht. Ich reiche nicht. Ich bin nicht attraktiv genug. Ich spiele eine Rolle, weil ich nicht selbst sein kann. Ich kenne meine Bedürfnisse nicht und weiß nicht, was ich wirklich spüre. Ich will nicht wissen, wie die Welt wirklich ist. Ich will nicht verletzt werden und suche daher auch keine echte Nähe. Ich habe Angst vor der echten Welt und inszeniere sie lieber in der Puppenstube meiner Vorstellung von ihr.

Was ihr Problem ist

Ich spüre mich nicht. Ich weiß nicht, wer ich wirklich bin. Ich misstraue einem unbekannten Selbst. Ich spiele die Rolle, die mein Gegenüber meiner Meinung nach zu sehen wünscht. Dieses Rollenklischee entspringt meiner eigenen Erfahrung. Ich will Nähe und intensive Lust spüren, aber gleichzeitig verursacht es in mir Angst und Scham, da meine Sehnsucht grenzenlos zu sein scheint.

Was das mit einem macht

Diese Menschen wirken lebendig und interessant, sind oft unterhaltsam, sehr sinnlich und wirken stimulierend. Unterhaltungen sind phantasieanregend, aber oft auch ambivalent. Sie können verunsichern und einen verärgern, weil sie unecht oder übertrieben wirken, oder weil ihr Interesse an einem urplötzlich versiegen kann und man sich zurückgesetzt und zu Unrecht missachtet fühlt.

Wo sie besonders verletzbar sind

Besonders kränkend empfinden sie die Zurücksetzung gegenüber Konkurrenten und die Missachtung ihrer Attraktivität. Sie leiden an missglückten “verbotenen” Liebesbeziehungen (bspw. mit Ehepartnern von Freunden etc.) oder an zu wenig bis keinen narzisstisch-erotischen Erlebnissen. Sie versagen bei Verlässlichkeit und authentischer Intimität. Selbst Eltern zu werden und aufgrund des Kindes zurückzustecken, fällt ihnen sehr schwer.

Fazit: Die Welt ist eine Bühne, und das kann sehr schön sein

Und wo trifft man die meisten Persönlichkeiten, die von wenig bis viel histrionische Akzentuierungen in sich haben? Natürlich in der Kunstszene. Musik und Theater sind Tummelplätze von Rollen und Klischees, von Darstellern und “Rampensäuen”, von Sendungswille und Grandiosität. Das soll aber beileibe nicht abfällig klingen, sondern mit liebevoller Feder die vielen bunten Fensterchens des Lebens schildern. Denn ohne die Histrioniker wäre das Leben oft langweilig und graufarben. Und aufgrund ihrer auch im wirklichen Leben gespielten Rollen umweht uns mit ihnen immer ein Hauch Theaterluft. Und wir sind dann immer ein kleiner Star, der mitspielen darf.


Bitte beachten Sie auch meine Schwerpunktseite: www.musikerberatung-frieling.de.

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