Der Flow-Zustand – Ziel oder Zufall?

Jeder hat es bestimmt schon einmal erlebt, zumindest beschrieben bekommen: “Ich hatte den Flow.” Ob Schwimmer, Geiger, Rednerin oder Prüfling – egal in welcher Disziplin, der Zustand, der “zwischen Angst und Langeweile anzusiedeln ist” (Mihály Csíkszentmihályi), scheint das vollendete Aufgehen in einer Tätigkeit zu sein. Und das geschieht oft in einer besonderen Situation, sei es während der Prüfung, in einem Wettbewerb oder während des Konzerts.

Und wenn man erzählt bekommt, wie sich das anfühlte, hört man oft, dass sich der Handelnde seiner Tätigkeit zwar durchaus bewusst war, aber sie nicht als gewollt oder gesteuert empfand. Das heißt, immer wieder hört man Beschreibungen wie :“tranceähnlicher Zustand”, “schlafwandlerische Sicherheit”, ein “Gefühl des Getragenseins”, ein “unendliches Fließen” und “die Finger machten alles von allein, ich konnte mir richtig zuhören”. Solche und viele weitere schwärmerischen Beschreibungen bezeugen die Kraft und positive Energie eines Flow-Zustandes.

Die drei Ebenen des Flows am Beispiel einer Geigerin im Konzert:

1. kognitiv

“Während des Konzertes dachte ich, wie einfach das Geigen doch sei. Und ich beobachtete, wie meine Finger alles von alleine zu machen schienen und mein Bogen nur so über die Saiten flog. Ich verspürte keinerlei Anstrengung und benötigte keine willentliche Beeinflussung.”

2. physiologisch

“Ich wusste, dass ich gespannt und entspannt war. Nichts tat mir weh, nichts raubte mir den Atem, kein Fingersatz schien zu schwer, kein Bogenwechsel zu schnell oder zu flüchtig. Nichts stand im Wege. Ich spürte nicht die Finger an sich, sondern nur die motorische Selbstverständlichkeit, sie zu bewegen.”

3. psychisch

“Ich freute mich über meine überragende Verfassung. Als ich merkte, dass es heute lief, wurde ich mutig und frei. Ich wurde größer und größer und konnte die Welt umarmen. Aber neben der Motivation, noch virtuoser zu spielen, spürte ich auch die Gelassenheit, dass heute nichts passieren würde. Dadurch blieb ich konzentriert und wurde nicht fahrig.”

Natürlich werden diese einzelnen Ebenen nicht unterschieden. Sie mischen sich in der Erzählung und werden zu einem “unbeschreiblichen und einzigartigen Gefühl.”

Wie kommt es zu dem “Flow”?

In der Literatur werden vier Erklärungsansätze favorisiert (Frester/Wörz 2003). Doch schließen sich diese nicht einander aus, sondern ergänzen sich, ja, sie bauen sogar manchmal aufeinander auf.

  • Interaktionsansatz

Hier spielt es eine Rolle, wie Denken, Fühlen und Handeln übereinstimmen. So kommt das optimale Gefühl, der “Flow”, wenn alle drei Komponenten interagieren: Ich habe handlungsunterstützende Gedanken, habe Vertrauen in die eigene Fähigkeit und spüre den idealen Spannungszustand (zwischen Panik und Schlaf). Ich merke beim Einspielen, dass heute alles geht.

  • Feedbackansatz

Aufbauend auf den Interaktionsansatz wird hier die Voraussetzung für einen positiven Abgleich (“Ich merke beim Einspielen, dass heute alles geht.”) geschaffen. Alle physiologischen Abläufe und Reaktionen des Körpers kann sich das Gehirn merken. Ist also alles normal, sind keine Störungen oder Alarmsignale vom Körper vorhanden, das irgendwas nicht stimmt, ist der physiologische Zustand optimal. Genau mit diesem analytischen Gedächtnis (Wissenschaftlich kann man noch, wie im Leistungssport üblich, zwischen dem optischen, kinästhetischen, statico-dynamischen, akustischen und taktilen Analysator unterscheiden.) wird nun der Einspielprozess abgeglichen.

  • Homöostasemodell

Hier geht es um den Ausgleich zwischen Leistung und Anforderung. Also vereinfacht gesagt: Bin ich überhaupt in der Lage, das Zeug zu spielen, was in den Noten steht? Natürlich erscheint diese Frage obsolet, wenn es nicht eine Spontan-Mugge ist. Aber die Anforderung diktiert eben nicht nur der Notentext, sondern auch der Anspruch der Konkurrenz. Und das umsomehr, wenn es sich ausschließlich um wettbewerbsähnliche Auftritte handelt (Probespiel, Klassenvorspiel). Daher kann die Homöostase eben auch gefährdet sein, wenn sowohl der Leistungsanspruch unklar ist (Wer ist die Konkurrenz? Was erwartet wer eigentlich von mir? Übrigens kann man auch selbst ein schwieriger Kritiker sein...) oder aber auch zu gering ist (Unterforderung, keine Augenhöhe im Vergleich).

  • Autotelischer Ansatz

Dieser Ansatz ist auch als Ergebnis zu bezeichnen, nämlich den Spaß, die Freude und die absolute Hingabe zur Beschäftigung an sich. Nicht für jemanden spielt man, sondern wegen des Spielens an sich spielt man. Diese intrinsische, also von innen empfundene Motivation ist die Voraussetzung eines autotelischen Erlebens, den Csíkszentmihályi als Schwebezustand zwischen Angst und Langeweile charakterisiert.

Fassen wir kurz zusammen

Flow ist ein Idealzustand, der entstehen kann, wenn folgende Komponenten zusammentreffen:

  1. Ich denke positiv von mir, habe keine Angst, sondern nur die Anspannung wie kurz vor der Bescherung zu Weihnachten. – Gleich gibt es Geschenke.
  2. Nichts stört meine Gedanken, ich glaube an mich. Nichts tut weh oder nervt. – Ich bin fit wie ein Turnschuh.
  3. Beim Einspielen merke ich, heute läuft’s. Jetzt freue ich mich auf den Auftritt. – Es wird richtig gut.
  4. Ich kann das Stück, kenne die Konkurrenz und weiß, dass ich hier genau richtig bin. – Ich zeige denen, was ‘ne Harke ist.

Ich freue mich auf das Spielen, auf das Segeln zwischen Begeisterung und Schweben. – Ich bin meine beste Droge.

 

Bitte beachten Sie auch meine Schwerpunktseite: www.musikerberatung-frieling.de.

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