Angst, Ohnmacht und Sinnlosigkeit

Klimawandel, Corona und Krieg. Die Welt ist voll von Unheil, Bedrohung und düsteren Prognosen. Existenzen sind gefährdet, Gesundheitsrisiken unwägbar und die Umwelt zerstört. Laut Nachrichten aus aller Welt leben wir in einer real existierenden Dystopie kurz vor dem finalen Untergange. Die johanneischen Sieben Plagen der Endzeit scheinen aus ihren Mythen aufzuerstehen und uns heimzusuchen. Angst, Resignation und Hilflosigkeit breitet sich aus. Gibt es noch einen Ausweg?

Die neurotische Angst vor der Gefahr

Die Worte fehlen uns angesichts der Umstände. Ausgelaugt von Klimakrise und Epidemie schlittern wir jetzt in ein europäisches Kriegsgeschehen. Davor Angst zu haben, scheint nicht neurotisch zu sein, sondern real. Aber die Angst vor dem Unbekannten, vor dem Unkontrollierbaren und vor dem Unklaren ist größer. Gehen wir in unsere Angst einmal hinein, so bemerken wir vor allem die Angst vor Veränderung. Veränderung im Arbeitsleben, im gelernten Miteinander, in der Umwelt und vor allem in der eigenen Freiheit. Diese scheint gerade die größte zu fühlende Bedrohung zu erfahren. Um zu überprüfen, ob eine real existierende oder eher eine neurotische Angst dominiert, lohnt es sich, auf die letzten Jahre und Jahrzehnte zu sehen. Immer und überall gibt es schreckliche Kriege, Hunger, gequälte und ermordete Menschen und Tiere, Umweltzerstörung und irreparable Schäden an Kunst und Kultur. Und die Angst steigt, je näher das Geschehen rückt.

Die Angst ist dafür da, einfach gesagt und auch nicht in ihrer Komplexität umrissen, unser Leben zu retten. Angst soll zu Höchstleistungen befähigen und nützt dort, wo Flucht- bzw. Kampfreaktionen möglich sind. Wenn das aber nicht der Fall ist, steht die Angst ungelöst da, der Puls ist erhöht, Adrenalin befeuert unseren Körper, aber wir können nichts machen. Unser vegetatives Nervensystem ist auf Alarmstufe Rot. Hier helfen ganz einfache Atemübungen, denn ein ruhig atmender Organismus ist nicht im Flucht- oder Kampfmodus. Atme immer ein wenig länger aus als ein, und schon wird sich nach und nach der Körper beruhigen. Auch singen statt grübeln kann helfen.

Die Machtlosigkeit des Einzelnen

Ein zweites, uns in diesen Tagen besonders belastendes Gefühl ist die Machtlosigkeit, die Ohnmacht über die sich täglich überstürzenden Ereignisse. Viele Menschen schüren diese passive Frustration, indem sie den ganzen Tag Nachrichten konsumieren. Man nennt das auch Doomscrolling. Diese vor allem mit Bildern überladene Reizung unserer Psyche kann ernsthafte psychopathologische Folgen haben. Ein Erklärungsansatz, warum wir vor allem negative Nachrichten fast süchtig konsumieren, kann sein, dass uns negative Ereignisse stärker beeinflussen als positive. Zumindest scheinbar. Die Bedrohung von Katastrophen scheint den zumeist aktiven Normalzustand des Friedlichen beim Konsumenten stärker anzuregen als ähnlich friedliche Bilder und Sequenzen (siehe auch oben zum Thema Angst). Korin Miller vermutete 2020 einen evolutionären Grund für den Vorteil des Negativen: “Wenn [...] Vorfahren beispielsweise herausfanden, wie eine urzeitliche Kreatur ihnen schaden konnte, konnte der Mensch dadurch ein solches Schicksal vermeiden.” (Health, 17.07.2020).

Bilder und unsere Reaktion

Um die Kraft von Bildern zu verdeutlichen, hier ein ganz einfaches Beispiel:

Stellen wir uns einen Apfel vor. Wir sehen ihn uns an, wir drehen ihn in der Hand, sehen seine roten Bäckchen. Wir riechen das frische Aroma, Erinnerungen an unsere Kindheit mit Garten und Großeltern ploppen auf. Wir stellen uns nun ein kleines Brettchen vor, auf das wir diesen großen und gesunden Apfel legen. Es ist ein heißer Tag, die Sonne scheint. Durstig nehmen wir nun ein Messer in die Hand und teilen diesen schönen Apfel in zwei Hälften. Wir sehen, wie der Apfelsaft herausläuft.

Und jetzt könnt ihr bemerken, wie euer Speichelfluss animiert wird und sich in eurem Mund sammelt. Allein diese Vorstellung des Apfels reicht anscheinend aus, um eine wichtige körperliche Reaktion auszulösen.

Und was lehrt uns das? Die Kraft unserer inneren Bilder kann viele körperlichen Reaktionen auslösen. Anspannung, Stress, Migräne, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und andere physiologische Erscheinungen sind oft die Folge unverarbeiteter Bilder. Aber in unserem Alltag können wir diese physischen Reaktionen der unbearbeiteten Bilder nicht gebrauchen. Somit verdrängen wir sie, nehmen aber gleichzeitig neue auf. Täglich ruinieren wir somit immer mehr unsere eigene Kraft des Widerstandes (Resilienz) und vermehren die Halde unverarbeiteter Eindrücke, die unsere Psyche belasten.

Die Sinnlosigkeit unseres Seins

Eine dritte große Belastung unserer Tage ist das eigene Sinnlosigkeitserleben. Was bedeutet das? Man meint, dass alles, was man selber tut, wenig oder nichts bringt und keinerlei Relevanz für die großen und aktuell brisanten Probleme hat. Doch wie wichtig sind die als lapidar erlebten täglichen Dinge? Viktor Frankl, wahrscheinlich den meisten von euch ein Begriff, ist ein Psychoanalytiker und Arzt, der als Gründer der Logotherapie und Existenzanalyse in die Geschichte einging. Doch sein Weg war steinig und schwer. Seine gesamte Familie wurde im KZ ermordet, und er überlebte nur knapp den Holocaust. Und dennoch begann er in dieser dunklen Zeit, sich Gedanken über den Sinn des Lebens zu machen. In seinem 1946 erschienenen Buch “… trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager”, beschreibt er den Alltag im KZ und die Psyche der Mitgefangenen und Aufseher. Er beobachtet, dass die Überlebenschancen höher waren, wenn jemand draußen wartete, wenn jemand einen Sinn in dem Aushalten sah. Und er erkannte, dass es nicht möglich ist, von außen einen Sinn im eigenen Leben zu erklären oder aufzuzeigen, sondern, dass es notwendig ist, dass man seinen eigenen Sinn erkennen muss. Und dazu zählt eben nicht nur das große Tun oder die heroische Tat, sondern die auch kleinste Tätigkeit, die eine positive Reaktion eines anderen hervorruft.

Was kann ich selber tun?

  1. Reduziere deinen Medienkonsum. Konzentriere dich auf deinen Einflusskreis. Was kannst du ändern, beeinflussen oder wirklich beurteilen? Bemerke deine körperlichen Reaktionen auf die Bilder und Nachrichten. Sei dir zu schade für die überflutende Hilflosigkeit.
  2. Entdecke Resilienzzerstörer wie andauernde Konjunktive. “Hätte, hätte, Fahrradkette” ist genauso wenig hilfreich wie “Was wäre, wenn”. Entdecke dein Sorgenkrisendenken und spüre die Gedankenkreise auf, die sich um Sachen drehen, auf die du weder Einfluss hast, noch die für Menschen deiner Umgebung relevant sind.
  3. Verweigere Informationen, sei kein “Experte” für alle Arten von Katastrophenmeldungen. Du weißt nicht genau, warum Russland mit der Ukraine Krieg führt? Nicht schlimm, es gibt genügend andere, die das wissen. Man muss nicht zu allem eine Meinung haben, man darf auch etwas nicht wissen, wenn es einem dadurch besser geht.
  4. Gehe mit deiner Angst um, übe Atmen (wie oben beschrieben). Durchdenke die Angst genau, was passiert, wenn. Filettiere die dystopischen und wabernden, düsteren Gedanken, indem du dir immer konkreter die Konsequenzen ausmalst. Mache die Angst kleiner, indem du sie benennst.
  5. Entdecke deine Selbstwirksamkeit. Hinterfrage nicht die Relevanz deines Tuns in Bezug auf Kriegs- und Katastrophenzeiten, sondern tu das weiter, was du kannst, wovon andere Menschen etwas haben und es dir gut geht. Bedenke, dass bei uns momentan kein Krieg ist, wir also in diesem Modus nicht leben müssen.
  6. Zähle die negativen Erlebnisse und Informationen pro Tag und suche dir genauso viele gute. Übe Relativität und genieße das Hier und Jetzt. Atme die Luft, den Frühling und sieh die Blumen an, die vor dir auf der Wiese wachsen. Übe diese Achtsamkeit, baue dir Zeitinseln, in denen ausschließlich du und deine Wahrnehmung zählt. (siehe auch meinen Post zur Achtsamkeit)

Fazit

Immer wieder zu betonen, dass wir in einer schlimmen Zeit leben, ist nicht gerade aufbauend und zielführend. Fakt ist, dass sich viele von uns in einer friedlichen und luxuriösen Blase des Wohlstandes betten. Und je mehr man sich dessen bewusst ist, desto mehr begreift man, dass man vor allem die egoistische Angst vor der Veränderung hat. Im Gegensatz zum Morgen ist jedoch das Gestern beeinflussbar. Also könnte es ein Ziel sein, das Heute so zu gestalten, dass wir möglichst viele gute Erinnerungen sammeln und Kraft tanken für eine Zukunft, die wir nicht kennen, aber der wir möglichst gut vorbereitet und psychisch gestärkt entgegentreten können. Die Frage “Was kann ich tun?”, ist immer wichtiger, als die Frage danach, was man nicht tun kann.

 

Bitte beachten Sie auch meine Schwerpunktseite: www.musikerberatung-frieling.de.

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